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Jaspers, Karl; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 3, Band 8,1): Ausgewählte Verlags- und Übersetzerkorrespondenzen — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69893#0184
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Karl Jaspers - de Gruyter

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beabsichtigen, die einzelnen abendländischen Kulturnationen in der geistigen Bewe-
gung des Mittelalters und der Neuzeit in einer besonderen geistesgeschichtlichen Se-
rie zur Darstellung zu bringen.
Und eine dritte wesentliche Begrenzung ergibt sich dadurch, dass die Darstellung
die geistige Bewegung nicht bis in ihren Niederschlag in der »Schönen Literatur« zu
verfolgen brauchte, weil auch hier eine eigene Serie »Das literarische Italien (Frank-
reich, England etc.) der Gegenwart« einspringen soll.168 Womit natürlich keineswegs
ausgeschlossen zu sein braucht, dass das Einleitungs- und Überbau-Bändchen der geis-
tigen Bewegung in der abendländischen Kultur der Gegenwart mit voller Freiheit
nach Bedarf sich bereits auch solche Dichterpersönlichkeiten herausgreifen kann, die
eben nicht bloss als Dichter, sondern ganz besonders auch als Denker für die geistige
Bewegung repräsentativ sind.
Nun ist freilich die Abgrenzung der »Gegenwart« gegen die »Neuzeit« im vorliegen-
den Falle durchaus problematisch. Wir halten es aber nicht bloss für selbstverständ-
lich, dass eine Darstellung der geistigen Bewegung der Gegenwart die Einzelbewegung
bis zu ihrem Ansatz bereits im 19. Jahrhundert zurückverfolgt, wo ein solcher vorliegt;
wir halten es sogar für generell ganz unumgänglich, dass sie zunächst die letzte geistige
Gesamtbewegung des 19. Jahrhunderts in ihrer Geschlossenheit wie in ihren wesentli-
chen Differenzierungen scharf und klar herausstellt, eben um eine wirksame Folie für
die geistige Bewegung der unmittelbaren Gegenwart zu gewinnen. Diese ist ja doch
selbst keinesfalls bloss eine Fortsetzung des 19. Jahrhunderts, sondern doch wohl ganz
wesentlich eine Reaktion gegen die für das 19. Jahrhundert ganz besonders charakte-
ristische Phase, die schon früh der abendländischen Wirtschaft, durch den unerhör-
ten Aufschwung infolge »Maschinisierung« des Verkehrs und der Produktion und der
Erschliessung sämtlicher Kontinente ausgelöst, dem 19. Jahrhundert in seinem Verlauf
andauernd stärker das Gepräge gibt. Und zwar stellt sich diese Phase des 19. Jahrhun-
derts dar als eine Bewegung, für die charakteristisch sein dürfte einmal auf dem Gebiet
theoretischer Betätigung in seiner ganzen Breite - eine extrem materialistische und zu-
gleich analytische Einstellung (Philosophie ohne Metaphysik - Psychologie ohne Seele
- materialistische Geschichtsauffassung - Überbetonung der Analyse auf Kosten der
Synthese und demzufolge Überspezialisierung auf dem Gebiet der Geisteswissenschaf-
ten), sodann aber ebenso charakteristisch auf dem Gebiet der praktischen Lebenspro-
bleme in seiner ganzen Breite ein extremer Individualismus einerseits, ein ebenso ex-
tremer utopistischer Sozialismus andererseits, in der Sphäre politischer Theorie und
Praxis eine Überbetonung des wirtschaftlichen gegenüber dem staatlichen Moment.
Wogegen dann für die geistige Bewegung des »neuen Jahrhunderts«, soweit es sich be-
reits überschauen lässt, gerade das charakteristisch sein dürfte, dass sie theoretisch auf
der ganzen Breite wieder das geistige Moment in seiner vollen Bedeutung aufs kräf-
tigste zu betonen unternimmt, praktisch aber darum ringt, den extremen Individua-
 
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