234
Karl Jaspers - Pion
233 Karl Jaspers an Eric de Dampierre
Typoskript; Durchschlag: DLA, A: Jaspers
Basel, den 24. Mai 1957
Sehr geehrter Herr de Dampierre!
Ich danke Ihnen für Ihren freundlichen Brief vom 21. Mai und freue mich ausseror-
dentlich über Ihre Bemühungen, das Werk Max Webers in Frankreich bekannt zu
machen.
Natürlich würde ich befriedigt sein, wenn Sie meine kleine Schrift über Max We-
ber von 1932 in französischer Sprache herausbringen.501
Herr von Lukacs war von 1914 jahrelang in Heidelberg und blieb auch die ersten
Kriegsjahre noch dort. Ich habe ihn damals gut gekannt. Er verkehrte in dem Kreise
Max Webers. Jedoch war er niemals Schüler von Max Weber und hatte damals kein
Interesse für Wirtschaftswissenschaften. Er interessierte mit seinem Freunde Ernst
Bloch durch seine ästhetischen und kritischen Abhandlungen (die Seele und die For-
men, über den Roman)502 und durch eine gnostische Philosophie, die damals zu dem
Witze führte: wie heissen die vier Evangelisten? Antwort: Matthäus, Markus, Lukacs
und Bloch.503 Mit Max Weber hatte er manche Diskussion, war im grösseren Kreise
mit ihm in Rom ganz und gar für die Kunst und Fragen der Kunst interessiert. Soviel
ich weiss, hat er später keine eigene Schrift über Max Weber geschrieben. Jedoch hat
er in seinen deutschen Publikationen Max Weber wiederholt in den Kreis seiner Kri-
tik gezogen als Agnostiker in der Bewegung bürgerlichen Denkens. Die Stellen sind
durch die Register leicht zu finden. Ich habe mich bei der Lektüre gewundert, wie es
möglich war, dass Lukacs, der den grossen Mann selber gekannt hat, durch seine spä-
tere Voreingenommenheit so blind werden konnte. Für Wissenschaften hat Lukacs
nie das geringste Interesse oder Verständnis gehabt.
Mit den besten Empfehlungen
Ihr ergebener
Karl Jaspers - Pion
233 Karl Jaspers an Eric de Dampierre
Typoskript; Durchschlag: DLA, A: Jaspers
Basel, den 24. Mai 1957
Sehr geehrter Herr de Dampierre!
Ich danke Ihnen für Ihren freundlichen Brief vom 21. Mai und freue mich ausseror-
dentlich über Ihre Bemühungen, das Werk Max Webers in Frankreich bekannt zu
machen.
Natürlich würde ich befriedigt sein, wenn Sie meine kleine Schrift über Max We-
ber von 1932 in französischer Sprache herausbringen.501
Herr von Lukacs war von 1914 jahrelang in Heidelberg und blieb auch die ersten
Kriegsjahre noch dort. Ich habe ihn damals gut gekannt. Er verkehrte in dem Kreise
Max Webers. Jedoch war er niemals Schüler von Max Weber und hatte damals kein
Interesse für Wirtschaftswissenschaften. Er interessierte mit seinem Freunde Ernst
Bloch durch seine ästhetischen und kritischen Abhandlungen (die Seele und die For-
men, über den Roman)502 und durch eine gnostische Philosophie, die damals zu dem
Witze führte: wie heissen die vier Evangelisten? Antwort: Matthäus, Markus, Lukacs
und Bloch.503 Mit Max Weber hatte er manche Diskussion, war im grösseren Kreise
mit ihm in Rom ganz und gar für die Kunst und Fragen der Kunst interessiert. Soviel
ich weiss, hat er später keine eigene Schrift über Max Weber geschrieben. Jedoch hat
er in seinen deutschen Publikationen Max Weber wiederholt in den Kreis seiner Kri-
tik gezogen als Agnostiker in der Bewegung bürgerlichen Denkens. Die Stellen sind
durch die Register leicht zu finden. Ich habe mich bei der Lektüre gewundert, wie es
möglich war, dass Lukacs, der den grossen Mann selber gekannt hat, durch seine spä-
tere Voreingenommenheit so blind werden konnte. Für Wissenschaften hat Lukacs
nie das geringste Interesse oder Verständnis gehabt.
Mit den besten Empfehlungen
Ihr ergebener