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EINLEITUNG
Durch denNürnberger Anstand vom Juli 1532 versprach zwar der Kaiser, die lau-
fenden Prozesse des Reichskammergerichtes gegen die Protestanten in den cansae
religionis, also in Sachen, die den Glauben betreffen, bis zur Entscheidung der kirch-
lich-theologischen Unterschiede in einem Konzil einzustellen. Aber die folgenden
Jahre sollten zeigen, daß das Reichskammergericht die Kirchengüter keineswegs zu
den causae religionis zählte und sich deshalb berechtigt sah, gerade in diesem Be-
reich Prozesse zu betreiben, die für die Evangelischen spürbar ungünstige politische
Auswirkungen hatten. Dies war auch für die Stadt Straßburg der Fall, die mit der
Acht bedroht war, unter anderem weil ein päpstlicher Protonotar von Bucers Kolle-
gen Wolfgang Capito die Rückgabe der Pfründe und der Propstei des Thomasstiftes
forderte. Schützenhilfe für sein Vorgehen bekam das Kammergericht vom Reichsvi-
zekanzler Matthias Held, der im Auftrag des Kaisers den Schmalkaldenern bei ih-
rem Bundestag im Februar und März 1537 vorwarf, sich in ihrem Umgang mit den
Kirchengütern nicht vom Evangelium, sondern von eigennützigen materiellen In-
teressen leiten zu lassen. Außerdem erklärte Held, daß es Sache des Reichskammer-
gerichts selbst sei, darüber zu entscheiden, was Religionssachen seien und was nicht.
Vor diesem Hintergrund verfaßte Bucer 1538 und in den darauffolgenden Jahren
die Schriften zur Kirchengüterfrage, die in dem vorliegenden Band gesammelt sind.
Im Blick auf ihre Entstehungsgeschichte und ihren Charakter sind diese Doku-
mente höchst unterschiedlich: Einige sind unfertige Entwürfe (Nr. 1 und 7), andere
sind Gutachten, die präzise auf bestimmte Adressaten abgestimmt (Nr. 2, 3 und 8),
wenn nicht sogar von ihnen eigens in Auftrag gegeben sind (Nr. 4 und 10). Wie-
derum andere haben den Charakter einer allgemeinen theoretischen Abhandlung
(Nr. 5, 6 und 7), und schließlich bildet eine Schrift so etwas wie eine abschließende
Monographie zum Thema, wenn auch in der Form eines Dialogs, der nicht eines ge-
wissen Maßes an Witz und Ironie entbehrt (Nr. 9). Gerade angesichts dieser enor-
men äußeren Inhomogenität frappiert die inhaltliche Kohärenz und argumentative
Kontinuität dieser Schriften. In allen klingt das für Bucer typische Bestreben durch,
seine evangelischen Mitchristen zur Aufrichtung und Durchsetzung des Reiches
Christi aufzufordern - eine Aufgabe, bei der sie sich an die präzisen Vorgaben des
»göttlichen Rechts« zu halten haben. Dieses Recht ist für Bucer nicht nur in der
Heiligen Schrift enthalten, sondern ausdrücklich auch in den Rechtssätzen christli-
cher römischer Kaiser, ja sogar in den früheren Kanones des Kirchenrechts.
Bucers Stellungnahme zum Umgang evangelischer Obrigkeiten mit ehemals alt-
gläubigem Kirchengut ist bei weitem nicht nur eine Verteidigung ihres Vorgehens
und eine Infragestellung des Anrechts katholischer Geistlicher auf das Kirchengut.
Unaufhörlich erinnert er die evangelischen Fürsten daran, daß ihre mißbräuchliche
Vei'wendung kirchlichen Vermögens den Altgläubigen einen willkommenen Anlaß
zur Kritik bietet, den noch unentschiedenen Landesherren ein abschreckendes Bild
von der moralischen Integrität der evangelischen Bewegung abgibt und schließlich
den Zorn Gottes gegen diese herausfordert. So sind diese Schriften auch Dokumente
der Selbstkritik.
In ihnen geht Bucer aber auch auf seine Gegner zu und versucht sie für die evan-
gelische Sache zu gewinnen. Er verstand, daß viele deutsche Bischöfe angesichts ih-
EINLEITUNG
Durch denNürnberger Anstand vom Juli 1532 versprach zwar der Kaiser, die lau-
fenden Prozesse des Reichskammergerichtes gegen die Protestanten in den cansae
religionis, also in Sachen, die den Glauben betreffen, bis zur Entscheidung der kirch-
lich-theologischen Unterschiede in einem Konzil einzustellen. Aber die folgenden
Jahre sollten zeigen, daß das Reichskammergericht die Kirchengüter keineswegs zu
den causae religionis zählte und sich deshalb berechtigt sah, gerade in diesem Be-
reich Prozesse zu betreiben, die für die Evangelischen spürbar ungünstige politische
Auswirkungen hatten. Dies war auch für die Stadt Straßburg der Fall, die mit der
Acht bedroht war, unter anderem weil ein päpstlicher Protonotar von Bucers Kolle-
gen Wolfgang Capito die Rückgabe der Pfründe und der Propstei des Thomasstiftes
forderte. Schützenhilfe für sein Vorgehen bekam das Kammergericht vom Reichsvi-
zekanzler Matthias Held, der im Auftrag des Kaisers den Schmalkaldenern bei ih-
rem Bundestag im Februar und März 1537 vorwarf, sich in ihrem Umgang mit den
Kirchengütern nicht vom Evangelium, sondern von eigennützigen materiellen In-
teressen leiten zu lassen. Außerdem erklärte Held, daß es Sache des Reichskammer-
gerichts selbst sei, darüber zu entscheiden, was Religionssachen seien und was nicht.
Vor diesem Hintergrund verfaßte Bucer 1538 und in den darauffolgenden Jahren
die Schriften zur Kirchengüterfrage, die in dem vorliegenden Band gesammelt sind.
Im Blick auf ihre Entstehungsgeschichte und ihren Charakter sind diese Doku-
mente höchst unterschiedlich: Einige sind unfertige Entwürfe (Nr. 1 und 7), andere
sind Gutachten, die präzise auf bestimmte Adressaten abgestimmt (Nr. 2, 3 und 8),
wenn nicht sogar von ihnen eigens in Auftrag gegeben sind (Nr. 4 und 10). Wie-
derum andere haben den Charakter einer allgemeinen theoretischen Abhandlung
(Nr. 5, 6 und 7), und schließlich bildet eine Schrift so etwas wie eine abschließende
Monographie zum Thema, wenn auch in der Form eines Dialogs, der nicht eines ge-
wissen Maßes an Witz und Ironie entbehrt (Nr. 9). Gerade angesichts dieser enor-
men äußeren Inhomogenität frappiert die inhaltliche Kohärenz und argumentative
Kontinuität dieser Schriften. In allen klingt das für Bucer typische Bestreben durch,
seine evangelischen Mitchristen zur Aufrichtung und Durchsetzung des Reiches
Christi aufzufordern - eine Aufgabe, bei der sie sich an die präzisen Vorgaben des
»göttlichen Rechts« zu halten haben. Dieses Recht ist für Bucer nicht nur in der
Heiligen Schrift enthalten, sondern ausdrücklich auch in den Rechtssätzen christli-
cher römischer Kaiser, ja sogar in den früheren Kanones des Kirchenrechts.
Bucers Stellungnahme zum Umgang evangelischer Obrigkeiten mit ehemals alt-
gläubigem Kirchengut ist bei weitem nicht nur eine Verteidigung ihres Vorgehens
und eine Infragestellung des Anrechts katholischer Geistlicher auf das Kirchengut.
Unaufhörlich erinnert er die evangelischen Fürsten daran, daß ihre mißbräuchliche
Vei'wendung kirchlichen Vermögens den Altgläubigen einen willkommenen Anlaß
zur Kritik bietet, den noch unentschiedenen Landesherren ein abschreckendes Bild
von der moralischen Integrität der evangelischen Bewegung abgibt und schließlich
den Zorn Gottes gegen diese herausfordert. So sind diese Schriften auch Dokumente
der Selbstkritik.
In ihnen geht Bucer aber auch auf seine Gegner zu und versucht sie für die evan-
gelische Sache zu gewinnen. Er verstand, daß viele deutsche Bischöfe angesichts ih-