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OBRIGKEITSSCHRIFTEN
ehemaliger Prior des Karmeliterhofes, in dem Luther im Jahre 1518 gewohnt hatte,
und Stephan Agricola mußten die Stadt verlassen (1531). Der zwinglisch gesinnte
Prediger Michael Keiler und vier weitere aus Straßburg berufene Prediger hatten jetzt
den entscheidenden Einfluß bei der Durchführung der Kirchenreform in Augsburg.
Zugleich begann die Periode der theologischen Einwirkung Bucers in Augsburg, die
während der folgenden Jahre anhielt. Sein Bestreben ging dahin, die in Straßburg
durchgeführte Reform auf Augsburg zu übertragen. Ihr Ziel war die Beseitigung des
katholischen Gottesdienstes in der Stadt, die die Augsburger Prediger in einem Ge-
such an den Rat (21. Januar 1533) forderten14. Dieser setzte einen Ausschuß ein, der
schriftliche Gutachten über die folgende Frage anfordern sollte: »ob ainem erbarn rat
als ainer weltlichen Oberkait diser stat Augspurg gepüret, in sachen die religion und
den hailigen glaubend berürend, handlungen, enderungen und neue ordnungen
uffzurichten vnd zu halten oder nit.«15
Von den fünf eingegangenen Antworten sind vier vollständig erhalten. Die wichtig-
ste stammt von dem bekannten Etumanisten Konrad Peutinger. Sie fußt in der Frage
nach dem Verhältnis von Obrigkeit und Kirche auf dem humanistischen Gedanken-
gut, wie es vor allem Desiderius Erasmus von Rotterdam vertreten hat16. Peutinger
widerrät in seinem Gutachten dem Augsburger Rat, als »mindere weltliche Oberkeit«
in Glaubenssachen eine Entscheidung zu treffen. Einer solchen ständen die Reichs-
tagsabschiede von Worms (1521) und der beiden Reichstage zu Speyer (1526, 1529)
entgegen. Nur ein freies, allgemeines Konzil könne in Glaubenssachen entscheiden.
Alle weltliche Obrigkeit, selbst der Kaiser, dürfe dagegen in Religionsangelegenheiten
keine Veränderung vornehmen. Er begründete diese Auffassung mit der völligen
Trennung von weltlicher und geistlicher Gewalt.
Im Widerspruch zu dem Gutachten Peutingers und zwei weiteren stehen die Aus-
führungen des Augsburger Ratskonsulenten Balthasar Langnauer, die dem Rat das Jus
Reformandi zusprechen. Er muß allerdings einräumen, daß kirchliches und kaiser-
liches Recht der weltlichen Obrigkeit keinen Einfluß in Glaubensangelegenheiten
zugestehen. Demgegenüber beruft er sich aber auf Ro 13 und sagt, daß die Autorität
des göttlichen Wortes über geistlichem und weltlichem Recht stehe. Daher sei der Rat
als Obrigkeit im Sinne von Ro 13,4 berechtigt, die päpstlichen Zeremonien, welche
wider Gott seien, zu beseitigen. Dieses und ein weiteres Gutachten fanden bei der
zwinglisch gesinnten Ratsmehrheit Beifall. Der Rat beschloß daraufhin, in allen
Kirchen katholische Predigten zu verbieten. Dagegen wurde die Abschaffung der
Messe, der Bilder und der übrigen katholischen Riten nur für die Kirchen vorgesehen,
die unter städtischem Patronat standen. Der Ausschuß sollte zur Ausführung des
Ratsbeschlusses die endgültigen Maßnahmen treffen. Seine Verhandlungen mit dem
Augsburger Domkapitel blieben aber erfolglos. Der Ausschuß stellte nun in 22 Arti-
keln und ebensovielen Gegenartikeln die Gründe zusammen, die für und gegen die
14. Kopie im Protestantischen Wesensarchiv in der St. Annakirche zu Augsburg.
15. F. Roth, Augsburgs Reformationsgeschichte 2, S. 109. 137—140 (Beilage II).
16. W. Maurer: Das Verhältnis des Staates zur Kirche nach humanistischer Anschauung,
vornehmlich bei Erasmus. Gießen 1930.
OBRIGKEITSSCHRIFTEN
ehemaliger Prior des Karmeliterhofes, in dem Luther im Jahre 1518 gewohnt hatte,
und Stephan Agricola mußten die Stadt verlassen (1531). Der zwinglisch gesinnte
Prediger Michael Keiler und vier weitere aus Straßburg berufene Prediger hatten jetzt
den entscheidenden Einfluß bei der Durchführung der Kirchenreform in Augsburg.
Zugleich begann die Periode der theologischen Einwirkung Bucers in Augsburg, die
während der folgenden Jahre anhielt. Sein Bestreben ging dahin, die in Straßburg
durchgeführte Reform auf Augsburg zu übertragen. Ihr Ziel war die Beseitigung des
katholischen Gottesdienstes in der Stadt, die die Augsburger Prediger in einem Ge-
such an den Rat (21. Januar 1533) forderten14. Dieser setzte einen Ausschuß ein, der
schriftliche Gutachten über die folgende Frage anfordern sollte: »ob ainem erbarn rat
als ainer weltlichen Oberkait diser stat Augspurg gepüret, in sachen die religion und
den hailigen glaubend berürend, handlungen, enderungen und neue ordnungen
uffzurichten vnd zu halten oder nit.«15
Von den fünf eingegangenen Antworten sind vier vollständig erhalten. Die wichtig-
ste stammt von dem bekannten Etumanisten Konrad Peutinger. Sie fußt in der Frage
nach dem Verhältnis von Obrigkeit und Kirche auf dem humanistischen Gedanken-
gut, wie es vor allem Desiderius Erasmus von Rotterdam vertreten hat16. Peutinger
widerrät in seinem Gutachten dem Augsburger Rat, als »mindere weltliche Oberkeit«
in Glaubenssachen eine Entscheidung zu treffen. Einer solchen ständen die Reichs-
tagsabschiede von Worms (1521) und der beiden Reichstage zu Speyer (1526, 1529)
entgegen. Nur ein freies, allgemeines Konzil könne in Glaubenssachen entscheiden.
Alle weltliche Obrigkeit, selbst der Kaiser, dürfe dagegen in Religionsangelegenheiten
keine Veränderung vornehmen. Er begründete diese Auffassung mit der völligen
Trennung von weltlicher und geistlicher Gewalt.
Im Widerspruch zu dem Gutachten Peutingers und zwei weiteren stehen die Aus-
führungen des Augsburger Ratskonsulenten Balthasar Langnauer, die dem Rat das Jus
Reformandi zusprechen. Er muß allerdings einräumen, daß kirchliches und kaiser-
liches Recht der weltlichen Obrigkeit keinen Einfluß in Glaubensangelegenheiten
zugestehen. Demgegenüber beruft er sich aber auf Ro 13 und sagt, daß die Autorität
des göttlichen Wortes über geistlichem und weltlichem Recht stehe. Daher sei der Rat
als Obrigkeit im Sinne von Ro 13,4 berechtigt, die päpstlichen Zeremonien, welche
wider Gott seien, zu beseitigen. Dieses und ein weiteres Gutachten fanden bei der
zwinglisch gesinnten Ratsmehrheit Beifall. Der Rat beschloß daraufhin, in allen
Kirchen katholische Predigten zu verbieten. Dagegen wurde die Abschaffung der
Messe, der Bilder und der übrigen katholischen Riten nur für die Kirchen vorgesehen,
die unter städtischem Patronat standen. Der Ausschuß sollte zur Ausführung des
Ratsbeschlusses die endgültigen Maßnahmen treffen. Seine Verhandlungen mit dem
Augsburger Domkapitel blieben aber erfolglos. Der Ausschuß stellte nun in 22 Arti-
keln und ebensovielen Gegenartikeln die Gründe zusammen, die für und gegen die
14. Kopie im Protestantischen Wesensarchiv in der St. Annakirche zu Augsburg.
15. F. Roth, Augsburgs Reformationsgeschichte 2, S. 109. 137—140 (Beilage II).
16. W. Maurer: Das Verhältnis des Staates zur Kirche nach humanistischer Anschauung,
vornehmlich bei Erasmus. Gießen 1930.