DIALOGI
127
Frid: Nun, mein Sinnprecht, bekennest du auch, das die obren, die Christen seind,
von Got mit hoherem gaist begabet seind dann die alten ingemain gewesen sein? Sinnp:
Der hailig Paulus zeügets ye an vil orten. Frid: So dann unsere Christliche obren mit
Gottes bekantnuß reicher begabet seind dann die alten, sollen sy dann nicht Got auch
sovil lieber haben und für sein ehr mehr eyferen? Sinnp: Es solte ja also sein.
Frid: Ist dann nitt auch yetz verkerung der Religion ain schwarere und grausamere
lesterung Gottes dann bey den alten?
Sinnp: Aigentlich. Frid: Wolan, warumb solten dann unsere obren, die für die ehr
Gottes sollen eyfriger sein, in straffung der falschen Gottesleer und -dienst, so auch
yetz schware sünd ist, nit auch strenger sein dann die alten? 500So ist billiche straf nichts
dann lauter liebe, barmhertzigkait und hayl, nicht allain der armen gemain, deren
durch die straf die ergernuß der schedlichen verderbnuß hingenommen wirt und damit
auch den hinlassigeren501 ain forcht eingetriben, das sy desto bestendiger bey der
warhait bleyben, sonder auch denen selb, die man straffet. Dann sy damit abgehalten
werden, das sy nicht noch mehr unglück und jamers anstifften und sich dadurch der
ewigen rach Gottes weyter verpflichten. Christliche lieb und barmhertzigkait ist zum
hayl der menschen, nit zum verderben. Wa man aber bose, schadhafte leüt und vor
allem die den Gottesdienst verstoren, mit dem doch alles unglück an leib und seel
eingefuret wirt, nit straffet, was thut man anders, dann das | O 2 a | man zusicht, ja zu
dem hilfft, das die ellenden verfürer das hellisch ewig verderbend feür in der armen
gemain ymmer weyter auffblasen, wie dann die sucht falscher leer umb sich ysset wie
der Krebs. Das ist die feyne lindigkait und barmhertzigkait, die yetz vil leüt forderen.
O lieber Sinnprecht, erkandten wir Gott, unseren Vatter und Hailand, recht, be-
dechten wir, wie theür uns sein Sun, unser Herr Jesus, vom falschen Gottesdienst und
allem argen, das dann am falschen Gottesdienst hanget, erloset und erkauffet hat,
Warlich, warlich, wir wurden die barmhertzigkait nach seinem wort und nitt nach
unseren flaischlichen gedancken anstellen. Und wie kain grosser unglück sein mag
dann Gott erzürnen, und Got aber nit hoher erzürnet mag werden dann durch falschen
Gottesdienst, wurden unsere obren wol wissen, das kain notwendiger noch grossere
barmhertzigkait sein kan, dann so man den leüten das weret, dardurch Gott zum aller-
grimmisten erzürnet wirt, das ist, den falschen Gotesdienst.
502Sinnp: Ey, mag503 man doch nyemand durch die straff vom argen abhalten. Frid:
Wieso? Sinnp: Wenn man schon das boß außwendig lasset, so ist man doch darumb
noch nitt frumme. Frid: Ist wahr. Wenn du aber deinem hündlin etwan lang ain ding
mit straichen504 werest oder ettwar505 zü anhaltest, gelt, du gewehnest es allgemach, das
es zületst selbwillig das lasset, davon du es hast entwehnen wollen und thüt das, dazü
499. Falsche religion ist da^ ergest iibel und verdienet die scherpfeste straff. [Marg.].
500. Billiche straffe ist lauter baremhertspkait. [Marg.].
501. Nachlässigeren.
502. Wie die straff pum güten trejbet. [Marg.].
503. Kann.
504. Hier: mit Schlägen züchtigen. Trübner 6, S. 637.
505. Die Bedeutung »irgend jemand« hat hier keinen Sinn. Möglicherweise ist hier »etwan«
( = bisweilen, vielleicht) zu lesen; s. auch unten S. 128, Z. 13.
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Frid: Nun, mein Sinnprecht, bekennest du auch, das die obren, die Christen seind,
von Got mit hoherem gaist begabet seind dann die alten ingemain gewesen sein? Sinnp:
Der hailig Paulus zeügets ye an vil orten. Frid: So dann unsere Christliche obren mit
Gottes bekantnuß reicher begabet seind dann die alten, sollen sy dann nicht Got auch
sovil lieber haben und für sein ehr mehr eyferen? Sinnp: Es solte ja also sein.
Frid: Ist dann nitt auch yetz verkerung der Religion ain schwarere und grausamere
lesterung Gottes dann bey den alten?
Sinnp: Aigentlich. Frid: Wolan, warumb solten dann unsere obren, die für die ehr
Gottes sollen eyfriger sein, in straffung der falschen Gottesleer und -dienst, so auch
yetz schware sünd ist, nit auch strenger sein dann die alten? 500So ist billiche straf nichts
dann lauter liebe, barmhertzigkait und hayl, nicht allain der armen gemain, deren
durch die straf die ergernuß der schedlichen verderbnuß hingenommen wirt und damit
auch den hinlassigeren501 ain forcht eingetriben, das sy desto bestendiger bey der
warhait bleyben, sonder auch denen selb, die man straffet. Dann sy damit abgehalten
werden, das sy nicht noch mehr unglück und jamers anstifften und sich dadurch der
ewigen rach Gottes weyter verpflichten. Christliche lieb und barmhertzigkait ist zum
hayl der menschen, nit zum verderben. Wa man aber bose, schadhafte leüt und vor
allem die den Gottesdienst verstoren, mit dem doch alles unglück an leib und seel
eingefuret wirt, nit straffet, was thut man anders, dann das | O 2 a | man zusicht, ja zu
dem hilfft, das die ellenden verfürer das hellisch ewig verderbend feür in der armen
gemain ymmer weyter auffblasen, wie dann die sucht falscher leer umb sich ysset wie
der Krebs. Das ist die feyne lindigkait und barmhertzigkait, die yetz vil leüt forderen.
O lieber Sinnprecht, erkandten wir Gott, unseren Vatter und Hailand, recht, be-
dechten wir, wie theür uns sein Sun, unser Herr Jesus, vom falschen Gottesdienst und
allem argen, das dann am falschen Gottesdienst hanget, erloset und erkauffet hat,
Warlich, warlich, wir wurden die barmhertzigkait nach seinem wort und nitt nach
unseren flaischlichen gedancken anstellen. Und wie kain grosser unglück sein mag
dann Gott erzürnen, und Got aber nit hoher erzürnet mag werden dann durch falschen
Gottesdienst, wurden unsere obren wol wissen, das kain notwendiger noch grossere
barmhertzigkait sein kan, dann so man den leüten das weret, dardurch Gott zum aller-
grimmisten erzürnet wirt, das ist, den falschen Gotesdienst.
502Sinnp: Ey, mag503 man doch nyemand durch die straff vom argen abhalten. Frid:
Wieso? Sinnp: Wenn man schon das boß außwendig lasset, so ist man doch darumb
noch nitt frumme. Frid: Ist wahr. Wenn du aber deinem hündlin etwan lang ain ding
mit straichen504 werest oder ettwar505 zü anhaltest, gelt, du gewehnest es allgemach, das
es zületst selbwillig das lasset, davon du es hast entwehnen wollen und thüt das, dazü
499. Falsche religion ist da^ ergest iibel und verdienet die scherpfeste straff. [Marg.].
500. Billiche straffe ist lauter baremhertspkait. [Marg.].
501. Nachlässigeren.
502. Wie die straff pum güten trejbet. [Marg.].
503. Kann.
504. Hier: mit Schlägen züchtigen. Trübner 6, S. 637.
505. Die Bedeutung »irgend jemand« hat hier keinen Sinn. Möglicherweise ist hier »etwan«
( = bisweilen, vielleicht) zu lesen; s. auch unten S. 128, Z. 13.