Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Arend, Sabine [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (17. Band, 2. Teilband = Baden-Württemberg, 4): Reutlingen, Ulm, Esslingen, Giengen, Biberach, Ravensburg, Wimpfen, Leutkirch, Bopfingen, Aalen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2009

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30657#0048
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Reutlingen

Die Marienkirche war der wichtigste Sakralbau innerhalb der Stadtmauern; sie wurde bis zum 14. Jahr-
hundert durch bürgerschaftliches Engagement zu einer der bedeutendsten hochgotischen Kirchen Schwa-
bens14 ausgebaut. Weitere kirchliche Gebäude waren das Heilig-Geist-Spital mit seiner Kirche, die 1333
errichtet worden war und als Ratskapelle diente. Hier hatte der Magistrat 1435 die erste Prädikatur der
Stadt gestiftet.15 Das Franziskanerkloster war das einzige Männerkloster der Stadt. Im 15. Jahrhundert
war es wirtschaftlich gut ausgestattet, zu Beginn des 16. Jahrhunderts lebten hier 40 Mönche.16 Mit dem
Franziskanerinnenkloster, vier Terziarinnenklöstern und zwei Beginen-Sammlungshäusern17 waren vor
allem Ordensfrauen in Reutlingen präsent. Die Katharinenkirche auf dem Friedhof sowie einige Kapellen
vervollständigten das Bild der Reutlinger Sakrallandschaft.18
Die Erforschung der Reutlinger Kirchengeschichte in der Frühen Neuzeit sowie die Edition reformati-
onszeitlicher Texte stehen vor der Schwierigkeit einer dürftigen Überlieferungslage. Der Verlauf der Refor-
mationsgeschichte muss vornehmlich aus der chronikalischen Überlieferung erschlossen werden, zahlreiche
Quellen sind durch den großen Stadtbrand von 1726 verloren.19 Auch eine neue umfassende Darstellung der
Reutlinger Reformationsgeschichte auf der Grundlage der vorhandenen Quellen fehlt.20

2. Die reformatorische Bewegung 1521-1525
Die evangelische Lehre wurde in Reutlingen durch den Prädikanten Matthäus Alber (1495-1570) verbrei-
tet.21 Alber stammte aus einer Reutlinger Handwerkerfamilie. Er hatte in Tübingen und Freiburg Theologie
studiert und war dort Anhänger der neuen Lehre geworden. Am 8. November 1521 gelangte er auf die in
Reutlingen im selben Jahr gestiftete Prädikatur.22 Da er sich in seinen Predigten dezidiert gegen das Worm-

Kapellen, S. 2-5, 17-19; Ströle, Marienkirche,
S. 47-53; Schwarz, Stadtgründung, S. 76f.; Votte-
ler, Reformations-Geschichte, S. 6-14.
14 Kadauke, Marienkirche, S. 57f.; Kopp, Betrachtung,
S. 21-46.
15 Schön, Kirchen und Kapellen, S. 88f.
16 Holtz, Kirche und Schule, S. 134; Schön, Kirchen und
Kapellen, S. 19f.; Ströle, Marienkirche, S. 47.
17 Die Hollen-Sammlung (seit 1397) in der Nähe der
Marienkirche und die Rast-Sammlung (1346/51) beim
Barfüßerkloster. Zu den Reutlinger Kirchen und Kapel-
len im Mittelalter siehe Schön, Kirchen und Kapellen,
S. 1-5, 17-21, 68-73, 88-94; Bossert, Kirchliche Ver-
hältnisse, S. 5-8.
18 Schön, Kirchen und Kapellen, 20f., 68-73, 88-95;
Happe, Friedhof, S. 11-15. Einen tabellarischen Über-
blick gibt Holtz, Kirche und Schule, S. 152.
19 Vgl. Schwarz, Stadtbrand, S. 7-43; Ströbele, Stadt-
brand, S. 49-56.
20 Brecht, Reutlingen, S. 6 Anm. 4 fordert zu Recht eine
„neue Darstellung der Reutlinger Reformationsge-
schichte aufgrund der Reutlinger Religionsakten und der
einschlägigen Bestände in den zuständigen umliegenden
Archiven“.
21 Einfluss hatte jedoch auch der Lateinschulmeister Georg
Keller, Ströle, Marienkirche, S. 53. Über Matthäus
Albers Leben weiß man aus der ihm gehaltenen Leichen-
predigt des Stadtpfarrers Konrad Piscarius (StadtA

Reutlingen 410/4 (Kopie), in modernisierter Sprache
abgedruckt bei Duncker, Alber, S. 38-48) sowie aus
einer Vita, die von einem unbekannten Verfasser im
Zusammenhang mit dem kirchengeschichtlichen Unter-
nehmen der Magdeburger Zenturien hergestellt worden
war (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Cod.
Guelf. 6.5 Augusteus 2°, Abdruck bei Rublack/Schei-
ble, Alber, S. 58-69). Im Zuge des Interims wurde Alber
entlassen (HStaatsA Stuttgart B 201, Bü 49/3 Schrift-
stück vom 17. August 1548, Abdruck bei Gayler,
Denkwürdigkeiten, S. 624-626) und trat ab 1549 in
württembergische Dienste. 1563-1570 stand er der Klo-
sterschule in Blaubeuren vor und war in dieser Funktion
Prälat mit einem Sitz im württembergischen Landtag.
Zur Frühgeschichte der Reformation in Reutlingen siehe
auch Votteler, Reformations-Geschichte, S. 14-29.
Zu Alber siehe auch Hermle, Alber, S. 13-48; Rub-
lack/Scheible, Alber, S. 44-69; Ströle, Alber,
S. 26-59; Brecht, Theologie, S. 63-97; Volk, Verhör,
S. 198-249; Cramer, Pfarrerbuch III, S. 19f.; Hart-
mann, Alber; Rentschler, Alber; Duncker, Alber;
TRE 2, S. 170-177; MBW P 11, S. 49f.; Gayler, Denk-
würdigkeiten, S. 21-215, 623-662; Votteler, Refor-
mations-Geschichte, S. 1-6.
22 Der Inhalt der Stiftungsurkunde vom 7. Januar ist
zusammengefasst bei Rublack/Scheible, Alber,
S. 50-52. Vgl. Hermle, Alber, S. 13.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften