Einleitung
1. Die Reichsstadt Biberach
Die Stauferstadt Biberach wurde 1281 als civitas regalis bezeichnet.1 Im nördlichen Oberschwaben gelegen,
war sie von den geistlichen Territorien der Klöster Ochsenhausen, Schussenried und Zwiefalten umgeben.
Biberach befand sich nicht nur zwischen den Reichsstädten Ulm, Memmingen, Ravensburg und Pfullen-
dorf, sondern auch an der Gabelung zweier wichtiger Fernhandelsstraßen in die Lombardei und nach Loth-
ringen. Diese Situierung konnte Biberach für den Handel mit Barchent nutzen, die Reichsstadt gelangte zu
wirtschaftlicher und kultureller Blüte.2 Im Spätmittelalter war Biberach mit ca. 3000 bis 3500 Einwohnern
nach Ulm und Ravensburg die drittgrößte Stadt Oberschwabens.3 Durch Besitzvergrößerungen des Heilig-
Geist-Spitals,4 über das der Rat verfügte, gewann Biberach ein nennenswertes Territorium: Das Herr-
schaftsgebiet der Reichsstadt umfasste 27 Dörfer und wies nach Ulm den zweitgrößten reichsstädtischen
Landbesitz in Oberschwaben auf.5 Anders als Ulm gelang es Biberach jedoch nicht, den spitälischen Streu-
besitz zu einem geschlossenen Territorium zusammenzubinden, da die Reichslandvogtei in Schwaben, die
seit 1486 von Habsburg verwaltet wurde, ihre Hoheitsrechte in unmittelbarer Nachbarschaft wahr-
nahm.6
Die Biberacher Kirchen gehörten zum Bistum Konstanz. Die Pfarrkirche St. Martin war seit 1349 dem
Zisterzienserkloster Eberbach im Rheingau inkorporiert, ihr Patronatsrecht gelangte erst nach dem Interim
in die Hand des Rats.7 Daneben beherbergte die Stadt ein Franziskanerinnenkloster8 sowie acht Kapellen,
die ein reges geistliches Leben bezeugen: Ende des 15. Jahrhunderts waren 36 Priester an 30 Benefizien
bepfründet, von denen 25 vom Rat besetzt wurden.9 Auch für die vor 1422 an der Spitalkapelle gestiftete
Prädikatur besaß der Rat das Präsentationsrecht.10 Der Magistrat beaufsichtigte also bereits im 15. Jahr-
hundert weite Teile des reichsstädtischen Kirchenwesens.11
Aus Biberach sind nur wenige Dokumente zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte über-
liefert, da der reichsstädtische Bestand durch mehrere Brände stark zerstört und zudem im 19. Jahrhundert
1 Diemer, Geschichte Biberachs, S. 675; ders., Biberach
(Handbuch), S. 663; ders., Aus der Geschichte,
S. 111-113; Press, Biberach, S. 22.
2 Rüth, Reformation in Biberach, S. 260. Zur Verfassung
der Stadt siehe Diemer, Biberach um 1500.
3 So Rüth, Reformation in Biberach, S. 258 und S. 724f.
Anm. 18; Press, Biberach, S. 25; Warmbrunn, Kon-
fessionen, S. 142; Ernst, Biberacher Kirche, S. 34;
Köhler, Ehegericht II, S. 222; Diemer, Aus der
Geschichte, S. 111.
4 Ulrich, Heilig-Geist-Hospital, S. 16-25. Das Heilig-
Geist-Spital war um 1239 gegründet worden, das Patro-
natsrecht der Spitalkapelle lag in der Hand des Rates,
Eine Spitalordnung ist vom 1. Februar 1491 überliefert,
StadtA Biberach B 3445. Abdruck bei Diemer, Quel-
len, S. 10-25; vgl. Stievermann, Biberach-Spital und
Stadt, S. 171-177. Zum Spital siehe auch Diemer, Hei-
lig-Geist-Spital, Stievermann, Biberacher Spital 1239
bis 1989 und Ulrich, Heilig-Geist-Spital, mit weiter-
führender Literatur. Zu den wirtschaftlichen Verhältnis-
sen des Spitals siehe Heimpel, Heilig-Geist-Spital.
5 Diemer, Geschichte Biberachs, S. 677; Rüth, Refor-
mation in Biberach, S. 259; Warmbrunn, Reformato-
ren, S. 162 Anm. 1.
6 Rüth, Reformation in Biberach, S. 259.
7 Rüth, Biberach und Eberbach, S. 142; Ernst, Bibe-
racher Kirche, S. 35ff. Vgl. unten, S. 437.
8 Das Kloster ist erstmals 1365 genannt. 1536 wurden die
Schwestern aus der Stadt gewiesen. Sie zogen nach
Buchau, kehrten jedoch 1546 nach Biberach zurück,
Diemer, Geschichte Biberachs, S. 691.
9 Zu den vorreformatorischen Verhältnissen in Biberach
siehe die Chronik von Schilling, Beiträge, S. 188f. Zu
den kirchlichen Verhältnissen siehe auch Diemer, Bibe-
rach um 1500; vgl. Ernst, Biberacher Kirche, S. 38;
Rüth, Biberach und Eberbach, S. 147; ders., Reforma-
tion in Biberach, S. 261-263.
10 Rüth, Müller, S. 15; Diemer, Heilig-Geist-Spital, S. 8.
11 Rüth, Biberach und Eberbach, S. 147.
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1. Die Reichsstadt Biberach
Die Stauferstadt Biberach wurde 1281 als civitas regalis bezeichnet.1 Im nördlichen Oberschwaben gelegen,
war sie von den geistlichen Territorien der Klöster Ochsenhausen, Schussenried und Zwiefalten umgeben.
Biberach befand sich nicht nur zwischen den Reichsstädten Ulm, Memmingen, Ravensburg und Pfullen-
dorf, sondern auch an der Gabelung zweier wichtiger Fernhandelsstraßen in die Lombardei und nach Loth-
ringen. Diese Situierung konnte Biberach für den Handel mit Barchent nutzen, die Reichsstadt gelangte zu
wirtschaftlicher und kultureller Blüte.2 Im Spätmittelalter war Biberach mit ca. 3000 bis 3500 Einwohnern
nach Ulm und Ravensburg die drittgrößte Stadt Oberschwabens.3 Durch Besitzvergrößerungen des Heilig-
Geist-Spitals,4 über das der Rat verfügte, gewann Biberach ein nennenswertes Territorium: Das Herr-
schaftsgebiet der Reichsstadt umfasste 27 Dörfer und wies nach Ulm den zweitgrößten reichsstädtischen
Landbesitz in Oberschwaben auf.5 Anders als Ulm gelang es Biberach jedoch nicht, den spitälischen Streu-
besitz zu einem geschlossenen Territorium zusammenzubinden, da die Reichslandvogtei in Schwaben, die
seit 1486 von Habsburg verwaltet wurde, ihre Hoheitsrechte in unmittelbarer Nachbarschaft wahr-
nahm.6
Die Biberacher Kirchen gehörten zum Bistum Konstanz. Die Pfarrkirche St. Martin war seit 1349 dem
Zisterzienserkloster Eberbach im Rheingau inkorporiert, ihr Patronatsrecht gelangte erst nach dem Interim
in die Hand des Rats.7 Daneben beherbergte die Stadt ein Franziskanerinnenkloster8 sowie acht Kapellen,
die ein reges geistliches Leben bezeugen: Ende des 15. Jahrhunderts waren 36 Priester an 30 Benefizien
bepfründet, von denen 25 vom Rat besetzt wurden.9 Auch für die vor 1422 an der Spitalkapelle gestiftete
Prädikatur besaß der Rat das Präsentationsrecht.10 Der Magistrat beaufsichtigte also bereits im 15. Jahr-
hundert weite Teile des reichsstädtischen Kirchenwesens.11
Aus Biberach sind nur wenige Dokumente zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte über-
liefert, da der reichsstädtische Bestand durch mehrere Brände stark zerstört und zudem im 19. Jahrhundert
1 Diemer, Geschichte Biberachs, S. 675; ders., Biberach
(Handbuch), S. 663; ders., Aus der Geschichte,
S. 111-113; Press, Biberach, S. 22.
2 Rüth, Reformation in Biberach, S. 260. Zur Verfassung
der Stadt siehe Diemer, Biberach um 1500.
3 So Rüth, Reformation in Biberach, S. 258 und S. 724f.
Anm. 18; Press, Biberach, S. 25; Warmbrunn, Kon-
fessionen, S. 142; Ernst, Biberacher Kirche, S. 34;
Köhler, Ehegericht II, S. 222; Diemer, Aus der
Geschichte, S. 111.
4 Ulrich, Heilig-Geist-Hospital, S. 16-25. Das Heilig-
Geist-Spital war um 1239 gegründet worden, das Patro-
natsrecht der Spitalkapelle lag in der Hand des Rates,
Eine Spitalordnung ist vom 1. Februar 1491 überliefert,
StadtA Biberach B 3445. Abdruck bei Diemer, Quel-
len, S. 10-25; vgl. Stievermann, Biberach-Spital und
Stadt, S. 171-177. Zum Spital siehe auch Diemer, Hei-
lig-Geist-Spital, Stievermann, Biberacher Spital 1239
bis 1989 und Ulrich, Heilig-Geist-Spital, mit weiter-
führender Literatur. Zu den wirtschaftlichen Verhältnis-
sen des Spitals siehe Heimpel, Heilig-Geist-Spital.
5 Diemer, Geschichte Biberachs, S. 677; Rüth, Refor-
mation in Biberach, S. 259; Warmbrunn, Reformato-
ren, S. 162 Anm. 1.
6 Rüth, Reformation in Biberach, S. 259.
7 Rüth, Biberach und Eberbach, S. 142; Ernst, Bibe-
racher Kirche, S. 35ff. Vgl. unten, S. 437.
8 Das Kloster ist erstmals 1365 genannt. 1536 wurden die
Schwestern aus der Stadt gewiesen. Sie zogen nach
Buchau, kehrten jedoch 1546 nach Biberach zurück,
Diemer, Geschichte Biberachs, S. 691.
9 Zu den vorreformatorischen Verhältnissen in Biberach
siehe die Chronik von Schilling, Beiträge, S. 188f. Zu
den kirchlichen Verhältnissen siehe auch Diemer, Bibe-
rach um 1500; vgl. Ernst, Biberacher Kirche, S. 38;
Rüth, Biberach und Eberbach, S. 147; ders., Reforma-
tion in Biberach, S. 261-263.
10 Rüth, Müller, S. 15; Diemer, Heilig-Geist-Spital, S. 8.
11 Rüth, Biberach und Eberbach, S. 147.
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