Einleitung
1. Die Reichsstadt Leutkirch
Leutkirch, im heutigen Landkreis Ravensburg gelegen, entstand als Siedlung um die Pfarrkirche St. Mar-
tin, der Hauptkirche (Leutkirche) des Nibelgaus, nach der der Ort benannt ist.1 Mit dem Erwerb des
Ammannamts und des Blutbanns wurde die Stadt 1397 reichsunmittelbar, sie erlangte Sitz und Stimme im
Schwäbischen Reichskreis und im Reichstag.2 Ein nennenswertes Territorium konnte Leutkirch nicht
erwerben, da es - ebenso wie Ravensburg3 - nahezu vollständig vom Territorium der von den Habsburgern
verwalteten Reichslandvogtei in Oberschwaben umschlossen war.4 An der wichtigen Verkehrsader von Lin-
dau nach Memmingen gelegen, gelangte die ca. 2000 Einwohner umfassende Reichsstadt im Spätmittelalter
zu Wohlstand, der auf Leinwandherstellung und -handel beruhte.5
Leutkirch gehörte zum Bistum Konstanz. Neben der Pfarrkirche St. Martin, deren Patronat seit 1352
das Kloster Stams in Tirol6 inne hatte, gab es mehrere Kapellen: Innerhalb der Stadt befanden sich die
Spitalkapelle, die Kirchhofkapelle (Unserer Lieben Frau) und die Leonhardskapelle, außerhalb lagen die
St. Anna- und die St. Wolfgangskapelle.7 Das 1281 in Leutkirch errichtete Augustiner-Chorfrauen- und
spätere Franziskanerinnenkloster besaß hingegen keine eigene Kirche, die Schwestern feierten die Messen in
einem separaten Raum in der Martinskirche.8
Die Quellenlage zur Reformation in Leutkirch ist ausgesprochen dürftig, zahlreiche Sachverhalte sind
ausschließlich der chronikalischen Überlieferung zu entnehmen.9 Diese Quellen wurden im 18. und 19. Jahr-
hundert von Johann Wilhelm Loy und Rudolph Roth intensiv ausgewertet. Ihren Darstellungen folgt die
Forschung im wesentlichen auch heute noch.
2. Die reformatorische Bewegung 1525-1545
Im Zusammenhang mit dem Aufstand der Bauern10 lässt sich in Leutkirch eine reformatorische Bewegung
erkennen, deren Zentrum die Weberzunft war. Die wenigen Neugläubigen gelangten jedoch nicht zu Macht
und Einfluss. Anders als in den meisten anderen südwestdeutschen Reichsstädten besaß Leutkirch keine
vom Rat zu besetzende Predigerstelle,11 und die Bürgeschaft konnte sich die Anstellung eines evangelischen
1 Vogler, Leutkirch, S. 22-28; Eisele, Leutkirch,
S. 688; Angst, St. Martin, S. 2.
2 Eisele, Leutkirch, S. 688.
3 Siehe oben, S. 457.
4 Vgl. Blickle, Territorialpolitik, S. 68.
5 Klaiber, Wirtschaftspolitik, S. 3-36; Vogler, Leut-
kirch, S. 33-46; Eisele, Leutkirch, S. 688.
6 Zum Stamser Patronat siehe Roth, Geschichte II,
S. 30-42; Angst, Reichspfarrei, S. 38-43; ders.,
St. Martin, S. 2.
Zur Wolfgangs- und Kirchhofskapelle siehe Roth,
Geschichte II, S. 146f.
8 Zum Leutkircher Frauenkloster siehe Angst, Frauen-
kloster, bes. S. 42-49; Roth, Geschichte II, S. 147-150.
9 Die Furtenbachische Chronik von 1655 (StadtA Leut-
kirch, B 7a), die Chronik des Leutkircher Frauenklosters
(StadtA Leutkirch A 399), die Chronik des Bernhard
Müller (StadtA Leutkirch B 5, Abdruck bei Baumann,
Leutkircher Chronik).
10 Vogler, Leutkirch, S. 47-49; Eisele, Leutkirch,
S. 688; Litz, Bilderfrage, S. 274; Schäfer, Entwick-
lung, S. 220.
11 Schäfer, Entwicklung, S. 219.
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1. Die Reichsstadt Leutkirch
Leutkirch, im heutigen Landkreis Ravensburg gelegen, entstand als Siedlung um die Pfarrkirche St. Mar-
tin, der Hauptkirche (Leutkirche) des Nibelgaus, nach der der Ort benannt ist.1 Mit dem Erwerb des
Ammannamts und des Blutbanns wurde die Stadt 1397 reichsunmittelbar, sie erlangte Sitz und Stimme im
Schwäbischen Reichskreis und im Reichstag.2 Ein nennenswertes Territorium konnte Leutkirch nicht
erwerben, da es - ebenso wie Ravensburg3 - nahezu vollständig vom Territorium der von den Habsburgern
verwalteten Reichslandvogtei in Oberschwaben umschlossen war.4 An der wichtigen Verkehrsader von Lin-
dau nach Memmingen gelegen, gelangte die ca. 2000 Einwohner umfassende Reichsstadt im Spätmittelalter
zu Wohlstand, der auf Leinwandherstellung und -handel beruhte.5
Leutkirch gehörte zum Bistum Konstanz. Neben der Pfarrkirche St. Martin, deren Patronat seit 1352
das Kloster Stams in Tirol6 inne hatte, gab es mehrere Kapellen: Innerhalb der Stadt befanden sich die
Spitalkapelle, die Kirchhofkapelle (Unserer Lieben Frau) und die Leonhardskapelle, außerhalb lagen die
St. Anna- und die St. Wolfgangskapelle.7 Das 1281 in Leutkirch errichtete Augustiner-Chorfrauen- und
spätere Franziskanerinnenkloster besaß hingegen keine eigene Kirche, die Schwestern feierten die Messen in
einem separaten Raum in der Martinskirche.8
Die Quellenlage zur Reformation in Leutkirch ist ausgesprochen dürftig, zahlreiche Sachverhalte sind
ausschließlich der chronikalischen Überlieferung zu entnehmen.9 Diese Quellen wurden im 18. und 19. Jahr-
hundert von Johann Wilhelm Loy und Rudolph Roth intensiv ausgewertet. Ihren Darstellungen folgt die
Forschung im wesentlichen auch heute noch.
2. Die reformatorische Bewegung 1525-1545
Im Zusammenhang mit dem Aufstand der Bauern10 lässt sich in Leutkirch eine reformatorische Bewegung
erkennen, deren Zentrum die Weberzunft war. Die wenigen Neugläubigen gelangten jedoch nicht zu Macht
und Einfluss. Anders als in den meisten anderen südwestdeutschen Reichsstädten besaß Leutkirch keine
vom Rat zu besetzende Predigerstelle,11 und die Bürgeschaft konnte sich die Anstellung eines evangelischen
1 Vogler, Leutkirch, S. 22-28; Eisele, Leutkirch,
S. 688; Angst, St. Martin, S. 2.
2 Eisele, Leutkirch, S. 688.
3 Siehe oben, S. 457.
4 Vgl. Blickle, Territorialpolitik, S. 68.
5 Klaiber, Wirtschaftspolitik, S. 3-36; Vogler, Leut-
kirch, S. 33-46; Eisele, Leutkirch, S. 688.
6 Zum Stamser Patronat siehe Roth, Geschichte II,
S. 30-42; Angst, Reichspfarrei, S. 38-43; ders.,
St. Martin, S. 2.
Zur Wolfgangs- und Kirchhofskapelle siehe Roth,
Geschichte II, S. 146f.
8 Zum Leutkircher Frauenkloster siehe Angst, Frauen-
kloster, bes. S. 42-49; Roth, Geschichte II, S. 147-150.
9 Die Furtenbachische Chronik von 1655 (StadtA Leut-
kirch, B 7a), die Chronik des Leutkircher Frauenklosters
(StadtA Leutkirch A 399), die Chronik des Bernhard
Müller (StadtA Leutkirch B 5, Abdruck bei Baumann,
Leutkircher Chronik).
10 Vogler, Leutkirch, S. 47-49; Eisele, Leutkirch,
S. 688; Litz, Bilderfrage, S. 274; Schäfer, Entwick-
lung, S. 220.
11 Schäfer, Entwicklung, S. 219.
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