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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Arend, Sabine [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (17. Band, 2. Teilband = Baden-Württemberg, 4): Reutlingen, Ulm, Esslingen, Giengen, Biberach, Ravensburg, Wimpfen, Leutkirch, Bopfingen, Aalen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.30657#0047
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Einleitung

1. Die Reichsstadt Reutlingen

Kaiser Friedrich I. Barbarossa verlieh der auf Reichsgut an der Echaz gelegenen Siedlung Reutlingen um
1180 das Marktrecht. Im 13. Jahrhundert bauten die Staufer die Ortschaft aus und befestigten sie zusammen
mit der nahe gelegenen Burg Achalm zu einem Stützpunkt gegen die Expansionsbestrebungen umliegender
Herrschaften.1 Mit dem Machtverlust der Staufer fiel auch der kaiserliche Schutz und Reutlingen sah sich
den württembergischen Machtbestrebungen ausgeliefert, von deren Territorium das nun als Reichsstadt
geltende Gemeinwesen nahezu vollständig umschlossen war.2 Ebenso wie für die Reichsstädte Esslingen und
Giengen, die innerhalb württembergischen Gebiets lagen,3 war es auch für Reutlingen schwierig, eine eigen-
ständige Verwaltung aufzubauen, erst 1292 ist erstmals ein Bürgermeister bezeugt.4 Bis zum 15. Jahrhundert
hatte Reutlingen schließlich ein bescheidenes Territorium erworben, zu dem sieben Dörfer zählten.5
Obwohl die Reichsstadt 1505 mit Württemberg einen Bündnisvertrag geschlossen hatte,6 der sie vor
Übergriffen des Herzogs schützen sollte, kam es 1519 zu einem folgenschweren Akt: Am 20. Januar wurde
ein württembergischer Bediensteter von einem Reutlinger Bürger ermordet. Herzog Ulrich besetzte darauf-
hin die Stadt und verleibte sie seinem Territorium ein. Dieser Landfriedensbruch führte zur Vertreibung des
Herzogs durch den Schwäbischen Bund.7
Reutlingen war weder groß noch mächtig oder gar wohlhabend. Um 1500 lebten hier etwa 4000 bis 5000
Menschen.8 Die Wirtschaft war handwerklich geprägt, allen voran vom Textil- und Ledergewerbe, vom
Schmiedehandwerk sowie vom Weinbau. Auch der Buchdruck spielte eine Rolle.9 Reutlingens wirtschaft-
liche Entwicklung zu voller Größe scheiterte jedoch - ebenso wie diejenige Esslingens - an der territorialen
Umklammerung durch Württemberg.10
Die Reutlinger Kirchen gehörten zum Bistum Konstanz. Die Pfarrkirche St. Peter in den Weiden (Peter
und Paul) war 1246 errichtet worden und lag vor den Stadtmauern auf dem Gebiet des heutigen Friedhofs.
1308 übertrug König Albrecht I. dem Kloster Königsbronn das Patronatsrecht, 1326 wurde die Kirche dem
Kloster inkorporiert. Im Zuge der Reformation gelang es der Stadt, die Rechte der Peterskirche an sich zu
ziehen: Am 17. September 1533 erwarb das Reutlinger Spital den Patronat.11 1538 brach man die Pfarr-
kirche St. Peter ab12 und erhob die innerhalb der Stadtmauern gelegene und dem Rat unterstehende Filiale
St. Marien zur Pfarrkirche.13

1 Gemeinhardt, Reutlingen, S. 697f. Zu den Anfängen
Reutlingens siehe Kopp, Anfänge, S. 26-109; Maurer,
Achalm, S. 43-52; Schwarz, Stadtgründung, S. 54-60.
2 Gemeinhardt, Reutlingen, S. 698; Schwarz, Stadt-
gründung, S. 60-65; Litz, Bilderfrage, S. 76.
3 Siehe unten, S. 311 und S. 417.
4 Köhler, Ehegericht II, S. 269; Gemeinhardt, Reut-
lingen, S. 699. Zu den frühen Quellen der Reutlinger Ver-
fassung siehe Schwarz, Stadtgründung, S. 65-71 und
Jäger, Reichsstadt, S. 62-113 mit Abdruck zahlreicher
Dokumente.
5 Gemeinhardt, Reutlingen, S. 698f.; Hermle, Alber,
S. 17; Schwarz, Stadtgründung, S. 80-84; Litz, Bilder-
frage, S. 76.

6 Scheurer, Schirmverträge, S. 10-16.
7 Zu Herzog Ulrichs Exil im württembergischen Mömpel-
gard siehe Schneider, Hofhaltung, S. 26-40.
8 Köhler, Ehegericht II, S. 270; Ströle, Marienkirche,
S. 50; ders., Reutlingen, S. 35.
9 Vgl. Widmann, Buchwesen, S. 7-42; Steiff, Buch-
druck; Reske, Buchdrucker, S. 784f.; Benzing, Buch-
drucker, S. 389. Zur wirtschaftlichen Situation siehe
Boelcke, Wirtschaftsgeschichte, S. 185-189.
10 Scheurer, Zollpolitik, S. 7-45; Boelke, Wirtschafts-
geschichte, S. 204f.
11 HStaatsA Stuttgart B 201, PU 315.
12 Siehe unten, S. 33 Anm. 65.
13 Bossert, Entstehung, S. 7-18; Schön, Kirchen und

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