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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Arend, Sabine [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (17. Band, 2. Teilband = Baden-Württemberg, 4): Reutlingen, Ulm, Esslingen, Giengen, Biberach, Ravensburg, Wimpfen, Leutkirch, Bopfingen, Aalen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.30657#0477
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Einleitung

1. Die Reichsstadt Ravensburg
Die welfische Gründung Ravensburg am Fuße der Veitsburg erhielt 1276 die Reichsstandschaft. Eigen-
ständige Gerichtsbarkeit und städtische Verwaltung sowie Münz-, Markt- und Zollrechte führten im Spät-
mittelalter zum politischen und wirtschaftlichen Aufstieg der Reichsstadt. Der Handel mit Leinwand, die
Herstellung und Verarbeitung von Papier und Leder sowie der Weinbau waren die wichtigsten Wirtschafts-
faktoren. Am Kreuzungspunkt zweier Fernhandelsstraßen von Frankfurt a.M. nach Italien und von Basel
nach Bayern gelegen, gelangte die Ravensburger Wirtschaft im 14. und 15. Jahrhundert zur Blüte. Mit der
„Ravensburger Handelsgesellschaft“, zu der sich die städtischen Kaufleute 1380 zusammengeschlossen hat-
ten, gewann die Reichsstadt den Rang einer der führenden Fernhandelsstädte im Bodenseeraum.1
Im Stadtgebiet, das für die wachsende Bevölkerung zwei Mal erweitert worden war, lebten zu Beginn
des 16. Jahrhunderts ca. 5000 Menschen.2 Bis 1539 erwarb die Stadt ein bescheidenes Territorium, in dem
der Rat die niedere Gerichtsbarkeit besaß, und die österreichischen Landvögte die hohe Gerichtsbarkeit
ausübten.3 Neben den weiträumigen Besitzungen der Reichslandvogtei in Oberschwaben, die zu Vorder-
österreich gehörte, war das Gebiet der Reichsstadt umgeben von Ländereien der Benediktinerabtei Wein-
garten und der Prämonstratenserabtei Weißenau.
Kirchlich gehörte die Reichsstadt zum Bistum Konstanz.4 Ravensburg besaß im 15. Jahrhundert drei
Pfarrkirchen: Die älteste, St. Christina südlich der Burg, war eine welfische Gründung, die seit 1280 der
Abtei Weißenau inkorporiert war.5 Die Liebfrauenkirche, ursprünglich Filiale des nahe gelegenen Altdorf,
wurde 1299 abgepfarrt und zur eigenständigen Pfarrkirche erhoben. Wie Altdorf blieb jedoch auch die
Liebfrauenkirche der Abtei Weingarten inkorporiert.6 Die Pfarrkirche St. Jodok war 1385 für die in den
Mauerring einbezogene Neustadt (Unterstadt) errichtet worden. Sie stand unter dem gemeinsamen Patro-
nat des Klosters Weißenau und des Ravensburger Rates: Abt und Konvent besetzten die Pfarrpfründe, der
Rat vergab die Altarlehen.7 Daneben übte der Magistrat Mitspracherechte bei der Besetzung der zahlrei-
chen Kapellen8 sowie der Pfarrhelferstellen aus; im Laufe des 14. Jahrhunderts gelang es ihm, die Vermö-
gensverwaltung sämtlicher Kirchen und Kapellen der Reichsstadt in seinen Besitz zu bringen.9
Mit dem Franziskanerinnenkloster St. Michael10 und dem Karmeliterkloster hatten sich zwei Orden in
Ravensburg niedergelassen. Der Karmeliterkirche kam eine besondere Stellung in der Reichsstadt zu: Hier
wurde intensive Predigt- und Seelsorgetätigkeit geübt, zahlreiche Bürger hatten hier Stiftungen getätigt,

1 Klaiber, Wirtschaftspolitik, S. 3-36; Warmbrunn,
Konfessionen, S. 40f.; Schmauder, Bikonfessionalität,
S. 25; Eitel, Ravensburg, S. 693-695.
2 Eitel, Reichsstädte, S. 11.
3 Dreher, Geschichte II, S. 713-717; Warmbrunn,
Konfessionen, S. 42f. Zur politischen und sozialen Struk-
tur der Reichsstadt im 16. Jahrhundert siehe Eitel,
Reichsstädte.
4 Zu den kirchlichen Verhältnissen siehe Holzer, Streit,
S. 9-18.
5 Dreher, Geschichte I, S. 167; ders., Geschichte II,
S. 740f.

6 Die Inkorporation blieb formal bis 1802 bestehen, Dre-
her, Geschichte I, S. 158; Hofacker, Reformation,
S. 77.
7 Eitel, Untere Pfarrei, S. 12-15; Warmbrunn, Kon-
fessionen, S. 43 und Anm. 125; Hofacker, Reforma-
tion, S. 77; Dreher, Geschichte II, S. 741.
8 Auflistung bei Warmbrunn, Konfessionen, S. 43
Anm. 127 und Dreher, Geschichte I, S. 165f.
9 Litz, Bilderfrage, S. 256; Warmbrunn, Konfessionen,
S. 44.
10 Dreher, Geschichte II, S. 755f.

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