Ravensburg
und der Rat besaß die Schutzvogtei über das Kloster.11 Neben zahlreichen Kapellen12 wurde die Ravens-
burger Sakrallandschaft durch das Heilig-Geist-Spital bereichert. Während der erste Spitalbau in der Ober-
stadt errichtet worden war, erhielt die Institution nach der zweiten Stadterweiterung um 1400 ein zusätz-
liches Gebäude in der Unterstadt. Gegen 1490 legte man beide Häuser am Ort des Unterstadtspitals zusam-
men und löste den ursprünglichen Spitalbau in der Altstadt auf.13
Die Erforschung der Ravensburger Reformationsgeschichte wird durch eine liickenhafte Quellensi-
tuation erschwert. Die wichtigste Überlieferung stellt das Denkbuch der Stadt14 dar, das im Auftrag des
Rates angelegt wurde und zahlreiche Magistratsbeschlüsse festhielt. Die Überlieferung von Religionsakten
ist mager, und die Ratsprotokolle setzen erst 1592 ein.15 Auch eine neue zuverlässige Darstellung der
Ravensburger Kirchengeschichte anhand sämtlicher überlieferter Quellen fehlt bislang.16
2. Einführung der Reformation 1545/46
Im Gegensatz zu anderen südwestdeutschen Reichsstädten, in denen in den 1520er und 1530er Jahren die
Reformation eingeführt wurde, konnte der Ravensburger Rat die neue Lehre zunächst so erfolgreich
zurückdrängen, dass sich bis 1540 keine evangelische Gemeinde formierte. Diese Politik war bedingt durch
die geographische Lage und die außenpolitische Situation der Reichsstadt: Zum einen war Ravensburg
umgeben vom Gebiet der habsburgisch verwalteten schwäbischen Reichslandvogtei, zum anderen besaßen
mit Weingarten und Weißenau zwei einflussreiche Abteien die Patronatsrechte der Ravensburger Pfarrkir-
chen.1, Der mehrheitlich mit altgläubigen Patriziern besetzte Rat fand in diesen Strukturen Unterstützung.
Nach den Reichstagen von 1529 und 1530, auf denen Ravensburg zu den altgläubigen Ständen gezählt
wurde, geriet die Reichsstadt jedoch gegenüber der Mehrzahl der übrigen südwestdeutschen Städte evan-
gelischen Bekenntnisses in zunehmende Isolation und in immer größere Abhängigkeit zu Österreich.18
Bedingt durch wirtschaftliche und gesellschaftliche Umbrüche veränderte sich jedoch bis 1540 die innen-
und außenpolitische Situation in Ravensburg:19 Nachdem sich die patrizische Fernhandelsgesellschaft 1530
aufgelöst hatte, schwanden Macht und Einfluss der altgläubigen Oberschicht auch im Rat. Demgegenüber
wurde das Gewicht der mehrheitlich dem neuen Glauben zugetanen Zunftmitglieder größer. Bei der Magi-
stratswahl am 14. April 1544 überwog schließlich die Anzahl der Zunftherren, und der zwinglianisch
11 Deckert, Karmeliten, S. 28f.; Hofacker, Reforma-
tion, S. 77. Vgl. Dreher, Patriziat 1964, S. 18.
12 Vgl. Litz, Bilderfrage, S. 256 Anm. 3; Hengstler,
Michaelskapelle.
13 Dreher, Geschichte I, S. 167f. Zu den Spitälern in
Ravensburg siehe Schmauder, Macht; Walcher, Sie-
chen, S. 18-60.
14 „New groß denckbuch“, StadtA Ravensburg Bü 376a.
Es umfasst Texte aus dem Zeitraum zwischen 1519 und
1607, vgl. die Beschreibung dieser Quelle bei Müller,
Stadtrechte, S. 9f. und S. 42-44.
15 StadtA Ravensburg Bü 485-488. Zur Quellen- und For-
schungslage vgl. Warmbrunn, Konfessionen, S. 26-28
und Litz, Bilderfrage, S. 257 Anm. 12.
16 Die jüngere Forschung zur Ravensburger Kirchenge-
schichte des Mittelalters und der Reformationszeit leidet
darunter, dass die Darstellungen nicht auf Quellenstu-
dien beruhen, sondern nahezu vollständig auf der älteren
Literatur (Hafner, Geschichte von Ravensburg; ders.,
Evangelische Kirche; Holzer, Streit; Dreher,
Geschichte). Ausnahmen bilden die beiden Spezialstu-
dien von Seeling, Willing und Hofacker, Reforma-
tion. Die beiden Darstellungen von Kramer, Simultan-
verhältnisse und Holzer, Streit, lassen jegliche Quel-
lenkritik außer Acht und übernehmen weitgehend unhin-
terfragt die zum Teil tendenziöse chronikalische Überlie-
ferung. Dieser Umgang mit den Ravensburger Quellen
führte nicht nur zu zahlreichen verschwommenen Dar-
stellungen der historischen Ereignisse sondern auch zu
widersprüchlichen Aussagen. Eine neue umfassende und
kritische Bearbeitung des überlieferten Materials bis
1648 wäre daher wünschenswert.
17 Warmbrunn, Reformatoren, S. 183; ders., Konfessio-
nen, S. 58; Hofacker, Reformation, S. 80-85; Ru-
dolf, Ravensburg, S. 4f.
18 Hofacker, Reformation, S. 85.
19 Warmbrunn, Reformatoren, S. 182.
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und der Rat besaß die Schutzvogtei über das Kloster.11 Neben zahlreichen Kapellen12 wurde die Ravens-
burger Sakrallandschaft durch das Heilig-Geist-Spital bereichert. Während der erste Spitalbau in der Ober-
stadt errichtet worden war, erhielt die Institution nach der zweiten Stadterweiterung um 1400 ein zusätz-
liches Gebäude in der Unterstadt. Gegen 1490 legte man beide Häuser am Ort des Unterstadtspitals zusam-
men und löste den ursprünglichen Spitalbau in der Altstadt auf.13
Die Erforschung der Ravensburger Reformationsgeschichte wird durch eine liickenhafte Quellensi-
tuation erschwert. Die wichtigste Überlieferung stellt das Denkbuch der Stadt14 dar, das im Auftrag des
Rates angelegt wurde und zahlreiche Magistratsbeschlüsse festhielt. Die Überlieferung von Religionsakten
ist mager, und die Ratsprotokolle setzen erst 1592 ein.15 Auch eine neue zuverlässige Darstellung der
Ravensburger Kirchengeschichte anhand sämtlicher überlieferter Quellen fehlt bislang.16
2. Einführung der Reformation 1545/46
Im Gegensatz zu anderen südwestdeutschen Reichsstädten, in denen in den 1520er und 1530er Jahren die
Reformation eingeführt wurde, konnte der Ravensburger Rat die neue Lehre zunächst so erfolgreich
zurückdrängen, dass sich bis 1540 keine evangelische Gemeinde formierte. Diese Politik war bedingt durch
die geographische Lage und die außenpolitische Situation der Reichsstadt: Zum einen war Ravensburg
umgeben vom Gebiet der habsburgisch verwalteten schwäbischen Reichslandvogtei, zum anderen besaßen
mit Weingarten und Weißenau zwei einflussreiche Abteien die Patronatsrechte der Ravensburger Pfarrkir-
chen.1, Der mehrheitlich mit altgläubigen Patriziern besetzte Rat fand in diesen Strukturen Unterstützung.
Nach den Reichstagen von 1529 und 1530, auf denen Ravensburg zu den altgläubigen Ständen gezählt
wurde, geriet die Reichsstadt jedoch gegenüber der Mehrzahl der übrigen südwestdeutschen Städte evan-
gelischen Bekenntnisses in zunehmende Isolation und in immer größere Abhängigkeit zu Österreich.18
Bedingt durch wirtschaftliche und gesellschaftliche Umbrüche veränderte sich jedoch bis 1540 die innen-
und außenpolitische Situation in Ravensburg:19 Nachdem sich die patrizische Fernhandelsgesellschaft 1530
aufgelöst hatte, schwanden Macht und Einfluss der altgläubigen Oberschicht auch im Rat. Demgegenüber
wurde das Gewicht der mehrheitlich dem neuen Glauben zugetanen Zunftmitglieder größer. Bei der Magi-
stratswahl am 14. April 1544 überwog schließlich die Anzahl der Zunftherren, und der zwinglianisch
11 Deckert, Karmeliten, S. 28f.; Hofacker, Reforma-
tion, S. 77. Vgl. Dreher, Patriziat 1964, S. 18.
12 Vgl. Litz, Bilderfrage, S. 256 Anm. 3; Hengstler,
Michaelskapelle.
13 Dreher, Geschichte I, S. 167f. Zu den Spitälern in
Ravensburg siehe Schmauder, Macht; Walcher, Sie-
chen, S. 18-60.
14 „New groß denckbuch“, StadtA Ravensburg Bü 376a.
Es umfasst Texte aus dem Zeitraum zwischen 1519 und
1607, vgl. die Beschreibung dieser Quelle bei Müller,
Stadtrechte, S. 9f. und S. 42-44.
15 StadtA Ravensburg Bü 485-488. Zur Quellen- und For-
schungslage vgl. Warmbrunn, Konfessionen, S. 26-28
und Litz, Bilderfrage, S. 257 Anm. 12.
16 Die jüngere Forschung zur Ravensburger Kirchenge-
schichte des Mittelalters und der Reformationszeit leidet
darunter, dass die Darstellungen nicht auf Quellenstu-
dien beruhen, sondern nahezu vollständig auf der älteren
Literatur (Hafner, Geschichte von Ravensburg; ders.,
Evangelische Kirche; Holzer, Streit; Dreher,
Geschichte). Ausnahmen bilden die beiden Spezialstu-
dien von Seeling, Willing und Hofacker, Reforma-
tion. Die beiden Darstellungen von Kramer, Simultan-
verhältnisse und Holzer, Streit, lassen jegliche Quel-
lenkritik außer Acht und übernehmen weitgehend unhin-
terfragt die zum Teil tendenziöse chronikalische Überlie-
ferung. Dieser Umgang mit den Ravensburger Quellen
führte nicht nur zu zahlreichen verschwommenen Dar-
stellungen der historischen Ereignisse sondern auch zu
widersprüchlichen Aussagen. Eine neue umfassende und
kritische Bearbeitung des überlieferten Materials bis
1648 wäre daher wünschenswert.
17 Warmbrunn, Reformatoren, S. 183; ders., Konfessio-
nen, S. 58; Hofacker, Reformation, S. 80-85; Ru-
dolf, Ravensburg, S. 4f.
18 Hofacker, Reformation, S. 85.
19 Warmbrunn, Reformatoren, S. 182.
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