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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Arend, Sabine [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (17. Band, 2. Teilband = Baden-Württemberg, 4): Reutlingen, Ulm, Esslingen, Giengen, Biberach, Ravensburg, Wimpfen, Leutkirch, Bopfingen, Aalen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.30657#0050
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Reutlingen

8 Ur vor mittag uss dem n[euen] und a[lten] Testament, und am Abent um 3 Ur nach Mittag ungevarlich uf
1 Stund im A. Testament, mit Erklerung der schweren verborgenen Wort durch andere hellere Wort der Schrift
gelesen würde. Nu vor und nach den Predigen und Lectionen, wie man es nennen will, werden Psalmen und
geistliche Lieder zu teutsch gesungen ... Weitter prauchen wir zwei Zaichen und Ceremonien, von Christo einge-
setzt, nämlich den Tauf und das Nachtmahl, das Nachtmahl aber halten wir, so oft [Personen] vorhanden sind,
die es begeren oder ervordern. Der Gottescasten soll auch bald aufgericht werden, den Armen zu Trost und Hilf,
denen ain ehrsamer Rath zu Reutlingen (on Rum zu melden) Bisher unsers Wissens nit Mangel gelassen hat ...
Diese Ordnung, uns von Gott geben und ufgesetzt, halten wir bei uns. Diese Gottesdienstreform sagte auch
Martin Luther zu, wie er in einem Brief an Alber am 4. Januar 1526 schrieb: ceremoniae mutatae apud vos
placent,33 Gegen den Widerstand des Klosters Königsbronn billigte auch der Reutlinger Rat die Umgestal-
tung des Gottesdienstes und die übrigen Neuerungen.34
Diese Hinwendung des Magistrats zur Reformation ging mit einem Generationswechsel einher: Mit der
Ratswahl im Sommer 1526 kam eine reformationsfreudige Mehrheit im Kleinen Rat zustande, an deren
Spitze Jos Weiß (ca. 1475-1542)35 stand. Vor allem die Persönlichkeit dieses Bürgermeisters, der dem Rat
bis zu seinem Tod immer wieder vorstand, bestimmte von da an die eigenständige Reformationspolitik der
Reichsstadt.36

1. Täufermandat 8. Februar 1528 (Text S. 36)
Die evangelische Bewegung musste sich in Reutlingen wie auch in anderen Reichsstädten von weiteren
religiösen Gruppierungen abgrenzen. Seit 1527 bestand eine Täufergemeinde in der Reichsstadt. Obwohl ein
Reichsgesetz Anfang 1528 die Todesstrafe für die Täufer forderte, gebot der Reutlinger Rat, sie zunächst
durch Matthäus Alber in der evangelischen Lehre unterweisen zu lassen. Ihm gelang es zwar, einige Täufer
von ihren Überzeugungen abzubringen und wieder in die evangelische Bewegung zu integrieren,37 am
8. Februar 1528 griff der Rat jedoch durch, indem er die Täufer der Stadt verwies.

2. Kirchenordnung [um 1531] (Text S. 38)
Den wesentlichen Schritt auf dem Weg zur Reformation unternahm der Magistrat 1530/31: Im Sommer
1530 unterzeichnete er auf dem Augsburger Reichstag die Confessio Augustana. Neben Nürnberg war
Reutlingen zunächst die einzige Stadt, die das evangelische Bekenntnis unterschrieb.33 Etwa zur gleichen

33 WA Br IV, Nr. 964. Abdruck und deutsche Übersetzung
auch bei Duncker, Alber, S. 14f. und Gayler, Denk-
würdigkeiten, S. 283f.; vgl. auch Ströle, Reutlingen,
S. 38; Rublack/Scheible, Alber, S. 53. Matthäus
Alber legte seine Abendmahlslehre schließlich auch
Johannes Brenz in Schwäbisch Hall zur Begutachtung
vor, wie aus dessen Antwort vom 13. April 1527 hervor-
geht, paraphrasiert bei Gayler, Denkwürdigkeiten,
S.330-332.
34 Der Königsbronner Abt versuchte, eine „gereinigte“
Messfeier in Reutlingen durchzusetzen, scheiterte jedoch
mit seinem Vorhaben. Er schrieb am 5. November 1526
an Alber sowie an Bürgermeister und Rat in Reutlingen
und protestierte gegen die Aufhebung der bisherigen
Gottesdienstordnung in der Pfarr- und der Barfüßerkir-
che, StadtA Reutlingen A 1, Nr. 6345. Am 12. Novem-
ber 1528 protestierte der Abt wiederholt gegen die

Abschaffung der Messe, StadtA Reutlingen A 1,
Nr. 6383. Vgl. Rublack/Scheible, Alber S. 58.
35 Zu Jos Weiß siehe Wunder, Bemerkungen, S. 33-38;
Wunder, Weiß, S. 49-64 mit weiterführender Literatur;
Votteler, Jos Weiß, S. 65-68, 81-84; Duncker, Alber,
S. 49-58; Betz, Reformation in Reutlingen, S. lOlf.
36 Wunder, Jos Weiß, bes. S. 58 und S. 61; Holtz, Kirche
und Schule, S. 136.
37 Rublack/Scheible, Alber, S. 55; Ströle, Reutlin-
gen, S. 38; Hermle, Alber, S. 35; Stayer, Täuferbe-
wegung, S. 57-59; Brecht, Reutlingen, S. 15; Betz,
Reformation in Reutlingen, S. 103f.; Gayler, Denk-
würdigkeiten, S. 297-302.
38 Es ist eine eigenständige Reutlinger Abschrift des
Bekenntnisses überliefert, Abdruck bei Schwarz, Con-
fessio, S. 71-101, vgl. hierzu ebd., S. 65-69; Gussmann,
Quellen 1/1, S. 150-162; Schwarz, Unterzeichnung,

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