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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]; Arend, Sabine [Oth.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (17. Band, 2. Teilband = Baden-Württemberg, 4): Reutlingen, Ulm, Esslingen, Giengen, Biberach, Ravensburg, Wimpfen, Leutkirch, Bopfingen, Aalen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.30657#0332
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Esslingen

Bischofs am 27. Mai 1321 erlassen hatte, konnte er sich das „Patronatsmonopol“ für sämtliche rund
40 Messpfründen in der Stadt sichern.15

2. Die reformatorische Bewegung
Mit der Kapellenordnung von 1321 hatte der Esslinger Rat den Grundstein seines städtisches Kirchenre-
giments gelegt, das er mit zahlreichen Maßnahmen weiter ausbaute. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts
bemühte er sich verstärkt um die Einbindung der Kirche in das städtische Gemeinwesen, indem er die
Aufsicht über die Residenz der Kapläne, Klosterreformen, Regelung der Predigtgottesdienste sowie das
sittliche Leben in die Hand nahm.16
Ebenso wie in anderen Reichsstädten begannen auch in Esslingen in den frühen 1520er Jahren einzelne
Geistliche die neue Lehre zu predigen. Hier sind die Augustinermönche Michael Stifel,17 Hieronymus Gan-
delfinger,18 Johannes Lonicer,19 Stefan Schäffer20 sowie Franz Irenicus,21 der Lutheranhänger und Hofpre-
diger Markgraf Philipps von Baden22, zu nennen. Der Rat, dominiert vom altgläubigen Bürgermeister Hans
Holdermann, duldete die reformatorische Bewegung in seinen Mauern zwar, war jedoch weit davon ent-
fernt, die Reformation einzuführen - nicht zuletzt bedingt durch das besondere politische Gefüge der
Reichsstadt:23 Inmitten des württembergischen Territoriums gelegen, das zwischen 1520 und 1534 unter
habsburgischer Verwaltung stand, stellte sich für den Esslinger Magistrat gar nicht erst die Frage, eine
eigenständige evangelisch ausgerichtete Religionspolitik zu betreiben. Hinzu kam, dass das Domkapitel in
Speyer sowie der Bischof in Konstanz ihre Rechte an der Esslinger Pfarrkirche durchsetzten und dass 1524
das Reichskammergericht und das Reichsregiment aus dem evangelischen Nürnberg nach Esslingen verlegt
wurden.24 Unter diesen Umständen unterzeichnete die Reichsstadt auf dem Speyerer Reichstag 1529 auch
nicht die Protestation, sondern nahm 1530 den Augsburger Reichsabschied an. Esslingen verfolgte damit
die Linie des von Habsburg dominierten Schwäbischen Bundes, dessen Gründungsort es zudem war.25

fol. 119v. Abdruck im Urkundenbuch der Stadt Esslin-
gen 1, Nr. 500.
15 Müller, Pfarrkirche, S. 271-283; Bernhardt, Quel-
len, S. 96; von Campenhausen, Klerus, S. 22-26;
Schröder, Kirchenregiment, S. 34f.
16 Schröder, Kirchenregiment, S. 59-68; Jooss, Esslin-
gen, S. 676f.
17 Michael Stifel (um 1487-1567), Theologe und Mathe-
matiker. Er trat kurz nach 1500 ins Esslinger Augusti-
nerkloster ein. Ende 1521 verfasste er die reformatori-
sche Schrift, die ihn berühmt machte: „Von der Christ-
formigen, rechtgegründten Leer Doctoris Martini
Luthers, ein überuß schön kunstlich Lyed, sampt seiner
neben ußzlegung. In Bruder Veiten Thon“, Schröder,
Lied, S. 53-59. Nach Auseinandersetzungen mit Thomas
Murner musste Stifel Esslingen 1522 verlassen. Zu
Michael Stifel siehe Cramer, Pfarrerbuch III, Nr. 395;
BBKL XVI, Sp. 1468-1472 mit weiterführender Litera-
tur.
18 Dr. Hieronymus Gandelfinger aus Esslingen (geb. um
1470) war von 1515 bis 1520 Prediger an St. Leonhard in
Stuttgart, anschließend bis Anfang 1523 Prediger in
Ulm, seit März 1523 Prior und Prediger in Neustadt an
der Orla, Schröder, Lied, S. 53; Bossert, Geschichte
Stuttgarts, S. 154.

19 Johannes Lonicer (um 1499-1569) verließ Esslingen
1523 und wurde 1527 Professor für Theologie in Mar-
burg, Cramer, Pfarrerbuch III, Nr. 253; Stupperich,
Reformatorenlexikon, S. 134; Schröder, Lied, S. 53;
Bossert, Geschichte der Stadt, S. 64.
20 Stefan Schäffer war von 1532 bis zu seinem Tod 1549
Prädikant in Esslingen, Cramer, Pfarrerbuch III,
Nr. 346; Schröder, Kirchenregiment, S. 402; ders.,
Lied, S. 53.
21 Franz Irenicus begleitete seinen Dienstherrn 1524 zum
Reichsregiment nach Esslingen. Er blieb bis 1526 in der
Stadt, BBKL II, Sp. 1332f. mit weiterführender Litera-
tur; Cramer, Pfarrerbuch III, Nr. 179; Reimer,
Reichsregierung, S. 230-233.
22 Zur frühen evangelischen Bewegung in Esslingen siehe
Mayer, Geistiges Leben; Schröder, Lied, S. 51-59;
Rublack, Bewegung, S. 196-212; ders., Esslingen,
S. 73-78; Bossert, Reformationsgeschichte, S. 38-42.
23 Rublack, Esslingen, S. 77; ders., Bewegung, S. 203-
212.
24 Schröder, Kirchenregiment, S. 69; Reimer, Reichs-
regierung, S. 226-233; Rublack, Bewegung, S. 202.
25 Zur Position des Rats zur reformatorischen Bewegung in
Esslingen siehe Rublack, Bewegung, S. 191-212; ders.,
Esslingen, S. 73-78.

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