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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Arend, Sabine [Oth.]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (17. Band, 2. Teilband = Baden-Württemberg, 4): Reutlingen, Ulm, Esslingen, Giengen, Biberach, Ravensburg, Wimpfen, Leutkirch, Bopfingen, Aalen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.30657#0452
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Biberach an der Riß

durch tiefgreifende Aktenausscheidungen dezimiert wurde. Für unsere Edition lassen sich nur wenige Ord-
nungen und Mandate greifen.12 Die Kenntnis der Biberacher Reformationsgeschichte stützt sich maßgeb-
lich auf die drei Chroniken der altgläubigen Patrizierfamilie von Pflummern.13

2. Die evangelische Bewegung 1521-1530
Die neue Lehre wurde seit den frühen 1520er Jahren in der Reichsstadt verbreitet.14 Die führenden Per-
sönlichkeiten der reformatorischen Bewegung in Biberach waren die beiden Prediger Bartholomäus Müller
(ca. 1484-1553) und Konrad Hermann († nach 1541). Müller stammte aus Ulm und war seit 1509 Kaplan
und Prädikant an der Spitalkirche. Er bekannte sich früh zum neuen Glauben und unterhielt Kontakte zu
dem Ulmer Humanisten Wolfgang Reichart.15 Müller war bis zu seinem Tod als Prediger in Biberach
aktiv.16 Konrad Hermann, genannt „Schlupfindheck“, war ein ehemaliger Franziskaner, der nach seinem
Klosteraustritt seit 1524/25 in Biberach gegen den alten Glauben polemisierte.17 Beide Prediger hingen
Huldrich Zwinglis Lehre an.
Der Biberacher Rat suchte die evangelische Bewegung unter Anwendung des Wormser Edikts zu unter-
drücken. Als sich jedoch eine vielköpfige neugläubige Gemeinde um die beiden Prediger scharte, musste der
Magistrat - um den sozialen Frieden zu wahren - zu einer Politik der Duldung übergehen.18 Durch die
anwachsende Zahl Evangelischer wurde der innenpolitische Druck nach 1527 so groß, dass der Rat handeln
musste. Er beschloss, den Klerus in die Rechte und Pflichten der Bürgerschaft einzubinden und einige
altgläubige Zeremonien abzuschaffen.19 Diese Initiative war allein dem Bemühen geschuldet, die Kontrolle
über die reformatorische Bewegung zu behalten und sie mit einzelnen Maßnahmen zu steuern. Der Rat war
jedoch weit davon entfernt, die Reformation in Biberach einzuführen.20
Obwohl der Magistrat innenpolitisch Zugeständnisse an die zunehmend evangelisch werdende Stadt-
bevölkerung machte, verhielt er sich in seiner außenpolitischen Bündnispolitik zurückhaltend. Am Speyerer
Reichstag von 1529, auf dem sich die reformatorische Bewegung reichspolitisch konstituierte, nahm Bibe-
rach nicht teil.21 Auf dem Augsburger Reichstag 1530 umging die Reichsstadt eine klare Stellungnahme in

12 Die Dokumente werden im Spitalarchiv (StadtA Bibe-
rach, Spitalarchiv, A 1261) aufbewahrt, vgl. Seeberg-
Elverfeldt, Spitalarchiv II, S. 344. Rüth, Biberach
und Eberbach, S. 155 und Anm. 79 wies auf die schlechte
Quellenlage zur Reformation in Biberach hin sowie da-
rauf, dass eine „neuere, zuverlässige Darstellung der
Biberacher Reformationsgeschichte“ fehlt.
13 Joachim Ernst von Pflummerns Chronik von 1540,
Abdruck bei Pflummern, Erinnerungen. Der Priester
Heinrich von Pflummern verfasste 1544/45 eine weitere
Chronik, Abdruck bei Schilling, Beiträge. Die Anna-
les Biberacenses schrieb Johann Ernst von Pflummern
zwischen 1619 und 1635 nieder. Sie sind zu einem kleinen
Teil abgedruckt bei Baumann, Beiträge. Die hand-
schriftliche Vorlage findet sich in HStaatsA Stuttgart
J 181. Vgl. auch die Beschreibung der Handschrift bei
Klein, Handschriften, S. 214. Rüth, Reformation in
Biberach, S. 256 und S. 724 Anm. 5 hat darauf hingewie-
sen, dass die Edition der Annales Biberacenses „das
dringendste Desiderat der Biberach-Forschung“ sei.
14 Heinrich von Pflummern berichtet in seiner Chronik: diu
Lutery haut angefangen zu Bibrach ungeforlich im 23. jar,

Schilling, Beiträge, S. 146; vgl. Warmbrunn, Kon-
fessionen, S. 55; Schier, Ursachen, S. 22f.
15 Zu Reichart siehe oben, S. 63 Anm. 25; vgl. Rüth,
Reformation in Biberach, S. 263.
16 Die Annahme, Müller habe die Stadt nach 1520 verlas-
sen und sei erst 1530 wieder zurückgekehrt (so Zwingli,
Briefwechsel IV, S. 431 Anm. 1), konnte Rüth, Müller,
S. 16 widerlegen. Zu Bartholomäus Müller siehe ders.,
S. 15-20; Locher, Reformation, S. 478 Anm. 178;
Warmbrunn, Reformatoren, S. 165-167.
17 Den Spottnamen erhielt er angeblich, weil er „sich
zunächst nicht an die Öffentlichkeit gewagt hatte“,
Litz, Bilderfrage, S. 162; Mildenberger, Prediger,
S. 49. Zu Hermann siehe Rüth, Müller, S. 19 Anm. 28;
Henrich, Konrad Hermann, S. 20-35; Warmbrunn,
Konfessionen, S. 55 Anm. 178. Vgl. Schilling, Bei-
träge, S. 150.
18 Rüth, Reformation in Biberach, S. 264.
19 Ebd., S. 266, vgl. Schilling, Beiträge, S. 157f.
20 Rüth, Reformation in Biberach, S. 266f.
21 Ebd., S. 267.

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