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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Arend, Sabine [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (17. Band, 2. Teilband = Baden-Württemberg, 4): Reutlingen, Ulm, Esslingen, Giengen, Biberach, Ravensburg, Wimpfen, Leutkirch, Bopfingen, Aalen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.30657#0481
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Einleitung

strat mit diesen Berufungen einen bewussten Schritt in Richtung des wittenbergischen Bekenntnisstandes,
dem die Mehrheit der evangelischen Reichsstände im deutschen Südwesten anhing.
Am 16. April wurde der Konvent des Karmeliterklosters aufgelöst und die Kirche, über die der Rat
bereits vor Einführung der Reformation verfügte, der evangelischen Gemeinde für ihre Predigtgottesdienste
zur Verfügung gestellt. Seit dem 24. April fanden in der Klosterkirche regelmäßig evangelische Gottesdien-
ste statt.44 Am 20. Mai zitierte der Rat die Pfarrer der Liebfrauenkirche und von St. Jodok sowie sämtliche
Kapläne zu sich und teilte ihnen mit, dass man die Einheitlichkeit der Zeremonien mit anderen evange-
lischen Reichsstädten anstrebe. An Stelle sämtlicher Ausdrucksformen des alten Glaubens sollten sie sich an
die in der Karmeliterkirche geübten Zeremonien halten (Nr. 2).45 Über diese Verfügung berichtet auch der
Weingartener Amtmann Hans Käm in einem Brief an Abt Gerwig Blarer:
Auf heut dato habend die von Ravenspurg nach dem pfarrer und allen capplön, so in der statt Ravenspurg
sind, auf das rathus geschickt, und hat der statschriber von ains rautz wegen die ret thon und gesagt, ain rat zu
Ravenspurg wölle ain relion haben, wie sey es jetz im closter habend angefangen, und sey söllend mit ierer
bepstischen relion stil ston, mit singen, lesen und predigen. Darnach habend sey ain stattknecht in die kyrchen
geschickt, so der mesmer zuo dem ampt gelidten hat, und in haissen aufhörn leuten, und die wyber des alten
gloubens aus dem kor triben und in iere liechter und alle liechter in der kyrchen gelöst, vor dem sacrament und
allenthalben darnach den kor beschlossen.46
Im Sommer 1546 wurde auch die Messe abgeschafft. Der Rat untersagte nicht nur in St. Christina und
St. Veit die Messfeiern, sondern auch, dass die Stadtbewohner in Kirchen außerhalb der Stadt, etwa nach
Weingarten oder Weißenau, zur Messe gingen (Nr. 3).47 Am 21. August beschlossen die Reichsstädte
Ravensburg, Konstanz, Memmingen, Lindau und Isny auf einem Städtetag in Kempten, überall in ihren
Hoheitsgebieten die Messen einzustellen, das Kirchengut einzuziehen und die Pfarrkirchen mit evange-
lischen Pfarrern zu besetzen.48

Kirchenordnung 1546 (Text nicht erhalten)
Neben der Anweisung zur Abschaffung von Messen und altgläubigen Zeremonien beauftragte der Ravens-
burger Rat die Prädikanten im Mai 1546, eine Kirchenordnung auszuarbeiten: Nun jetz hat doctor Jacob
[Kesselring_/49 nest verschinen freitags [- 14. Mai] zuo Ravenspurg glouplich gehört, ain raut zuo Ravenspurg hab
denfier predicanten, aim von Nürenberg, aim von Strasburg, aim von Bybrach und Conraten [Konstanzer], dem
ersten [prediger], bevolhen, sey söllend zuosamet sytzen und ain kyrchenordnung machen.50
Wie diese Kirchenordnung aussah, die von den vier Theologen ausgearbeitet werden sollte, muss offen
bleiben, da der Text nicht erhalten ist. Man kann den Inhalt der Ordnung lediglich annäherungsweise
erschließen. Bereits am 5. Mai 1546 hatte der Nürnberger Rat denen von Rafenspurg 10 hie[s]iger kirchen
ordnungen gegen gepürlich bezalung aus der Canzley zur Verfügung gestellt.51 Der Ravensburger Text wurde
auf der Grundlage dieser Nürnberger Ordnung entworfen, wie aus Hinweisen in der Ravensburger Zucht-

44 Hofacker, Reformation, S. 103.
45 Ebd., S. 104; Holzer, Streit, S. 30.
46 Günter, Blarer I, Nr. 771 S. 550f.
47 Vgl. den Brief des Weingartener Amtmanns Hans Käm
an Abt Gerwig Blarer vom 14. Juni 1546: Auf heut dato
dis briefs habend die von Ravenspurg allen irn burgern und
inwonern, frowen, jungen und alten, gebotten by aines rautz
straf, das kainer, man noch frowen, hinder kain mess mer
stand noch gangen gen Wingarten, in die Ow /= Weisse-
nau], gen Sant Cristinen noch ander orten, Günter, Bla-
rer I, Nr. 774 S. 554. Hofacker, Reformation, S. 104.

48 Ebd„ S. 111.
49 Dr. Jakob Kesselring, Altbürgermeister von Überlingen
und Rat Abt Gerwigs.
50 Brief des Weingartener Amtmanns Hans Käm an Abt
Gerwig Blarer vom 17. Mai 1546, Günter, Blarer I,
Nr. 770, S. 549.
51 Zitiert nach Klaus, Dietrich, S. 219. Vgl. Hofacker,
Reformation, S. 103f. Abdruck der brandenburg-nürn-
bergischen Kirchenordnung bei Sehling, EKO XI,
S. 140-205 sowie bei Osiander, Gesamtausgabe 5,
S.63-177.

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