Ravensburg
Ravensburger Ordnung tatsächlich ein theologischer Kurswechsel vollzogen wurde, da Zuchtordnungen
auch in solchen Reichsstädten eingeführt wurden, die theologisch nach Wittenberg ausgerichtet waren.87
Am 3. Dezember 1546 übergaben die Prediger Thomas Lindner und Johann Lenglin dem Ravensburger
Rat eine von ihnen und Konrad Konstanzer unterzeichnete Denkschrift mit zahlreichen Vorschlägen zur
Ergänzung der Zuchtordnung und zur weiteren Umgestaltung des Kirchenwesens.88 Obwohl es sich bei
dieser Schrift nicht um ein Dokument handelt, das obrigkeitliche Gültigkeit erlangt hat,89 ermöglicht es
doch einen Einblick in den schleppenden Fortgang der Reformationseinführung in Ravensburg. So klagten
die Prädikanten etwa über die vile der altar in der kürchen, die gar nicht breuchlich, sonder vill mer hinderlich
sein, dessgleichen andere missbreuch, so noch vom Bapstumb vorhanden, als sprengkessel mit weichwasser im
gotsackher unnd liechter am hellen tag brennen. Die Prediger schlugen außerdem vor, statt der Altäre vill
bequeme Ständ oder mansstüell in der Kirche aufzustellen, damit die Gläubigen der Predigt aufmerksamer
folgen konnten.90
Von der Ravensburger Zuchtordnung erschienen 1550 und 1555 überarbeitete Fassungen.91 Neben klei-
neren Veränderungen wurden 1550 der Abschnitt zum Eherecht erweitert, der Passus zum Spielverbot
verändert sowie eine Hochzeits- und Tanzordnung hinzugefügt.92 Die 1550er Ordnung stellt eine textliche
Zwischenstufe dar: Es handelt sich um die ursprüngliche Fassung von 1546, die durch Streichungen und
Korrekturen auf den aktuellen Stand gebracht wurde. In der 1555er Ordnung sind die Verbesserungen
schließlich eingearbeitet. Hier erscheint auch die Hochzeitsordnung erneut stark verändert.
Zahlreiche Maßgaben der Zuchtordnung scheinen nicht befolgt worden zu sein, denn am 13. Februar
1560 reichten die Geistlichen Wendelin Schempp, Jakob Feilitscher, Christoph Schreiber und Bartholomäus
Rittler Beschwerde ein. Sie forderten, der Rat möge die hievor verfaßte und publicierte polycey- und zuchtord-
nung nicht allain wider ernewern, sonder ernstlich und vestigklich ob der selbigen halten und gegen den yber-
trettern mit der execution fürfaren.
Daneben beklagten sie die vilveltigen und unzalberen, ja auch unnöttige feyrtäg, die in gottes wortt nit
gegrundet noch gepotten, auch in der augspurgischen confession [...] nicht begrüffen, und forderten, dass die
Anhänger der Confessio Augustana nicht an die Vielzahl der Feiertage gebunden sein sollten, wie es dan in
andern stätten, da baide religion im gebrauch, auch der maßen gehalten wirt.93 Bezüglich der Feiertage kam es
wiederholt zu Auseinandersetzungen: Die evangelischen kirchenherren94 Karl Egkolt, Peter Senner und
Hans Kollöffel forderten den Rat 1570 auf, die evangelische Gemeinde von der Vielzahl der Feiertage zu
entbinden.95
87 So etwa Ulm 1558 (siehe S. 220 Nr. 20) und Esslingen
1532 (siehe S. 335 Nr. 5).
88 Abdruck der Denkschrift bei Müller, Aktenstücke,
S. 65-74.
89 Warmbrunn, Reformatoren, S. 191f. und Köhler,
Ehegericht II, S. 342f. fassen es als Verfassungsdoku-
ment auf, obwohl offen bleiben muss, ob der Rat die
Anregungen der Prädikanten aufnahm.
90 Müller, Aktenstücke, S. 68.
91 Die von Dreher, Geschichte I, S. 387 genannte Neu-
auflage der Zuchtordnung von 1560 lässt sich im Stadt-
archiv Ravensburg nicht nachweisen.
92 Zum Inhalt siehe auch Köhler, Ehegericht II, S. 342f.
93 StadtA Ravensburg Bü 377c/2. Vgl. Köhler, Ehege-
richt II, S. 344.
94 Die kirchenherren waren die Interessenvertreter der
evangelischen Gemeinde gegenüber dem mehrheitlich
katholischen Rat, Warmbrunn, Konfessionen, S. 208f.
95 Stadt A Ravensburg Bii 487c/l.
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Ravensburger Ordnung tatsächlich ein theologischer Kurswechsel vollzogen wurde, da Zuchtordnungen
auch in solchen Reichsstädten eingeführt wurden, die theologisch nach Wittenberg ausgerichtet waren.87
Am 3. Dezember 1546 übergaben die Prediger Thomas Lindner und Johann Lenglin dem Ravensburger
Rat eine von ihnen und Konrad Konstanzer unterzeichnete Denkschrift mit zahlreichen Vorschlägen zur
Ergänzung der Zuchtordnung und zur weiteren Umgestaltung des Kirchenwesens.88 Obwohl es sich bei
dieser Schrift nicht um ein Dokument handelt, das obrigkeitliche Gültigkeit erlangt hat,89 ermöglicht es
doch einen Einblick in den schleppenden Fortgang der Reformationseinführung in Ravensburg. So klagten
die Prädikanten etwa über die vile der altar in der kürchen, die gar nicht breuchlich, sonder vill mer hinderlich
sein, dessgleichen andere missbreuch, so noch vom Bapstumb vorhanden, als sprengkessel mit weichwasser im
gotsackher unnd liechter am hellen tag brennen. Die Prediger schlugen außerdem vor, statt der Altäre vill
bequeme Ständ oder mansstüell in der Kirche aufzustellen, damit die Gläubigen der Predigt aufmerksamer
folgen konnten.90
Von der Ravensburger Zuchtordnung erschienen 1550 und 1555 überarbeitete Fassungen.91 Neben klei-
neren Veränderungen wurden 1550 der Abschnitt zum Eherecht erweitert, der Passus zum Spielverbot
verändert sowie eine Hochzeits- und Tanzordnung hinzugefügt.92 Die 1550er Ordnung stellt eine textliche
Zwischenstufe dar: Es handelt sich um die ursprüngliche Fassung von 1546, die durch Streichungen und
Korrekturen auf den aktuellen Stand gebracht wurde. In der 1555er Ordnung sind die Verbesserungen
schließlich eingearbeitet. Hier erscheint auch die Hochzeitsordnung erneut stark verändert.
Zahlreiche Maßgaben der Zuchtordnung scheinen nicht befolgt worden zu sein, denn am 13. Februar
1560 reichten die Geistlichen Wendelin Schempp, Jakob Feilitscher, Christoph Schreiber und Bartholomäus
Rittler Beschwerde ein. Sie forderten, der Rat möge die hievor verfaßte und publicierte polycey- und zuchtord-
nung nicht allain wider ernewern, sonder ernstlich und vestigklich ob der selbigen halten und gegen den yber-
trettern mit der execution fürfaren.
Daneben beklagten sie die vilveltigen und unzalberen, ja auch unnöttige feyrtäg, die in gottes wortt nit
gegrundet noch gepotten, auch in der augspurgischen confession [...] nicht begrüffen, und forderten, dass die
Anhänger der Confessio Augustana nicht an die Vielzahl der Feiertage gebunden sein sollten, wie es dan in
andern stätten, da baide religion im gebrauch, auch der maßen gehalten wirt.93 Bezüglich der Feiertage kam es
wiederholt zu Auseinandersetzungen: Die evangelischen kirchenherren94 Karl Egkolt, Peter Senner und
Hans Kollöffel forderten den Rat 1570 auf, die evangelische Gemeinde von der Vielzahl der Feiertage zu
entbinden.95
87 So etwa Ulm 1558 (siehe S. 220 Nr. 20) und Esslingen
1532 (siehe S. 335 Nr. 5).
88 Abdruck der Denkschrift bei Müller, Aktenstücke,
S. 65-74.
89 Warmbrunn, Reformatoren, S. 191f. und Köhler,
Ehegericht II, S. 342f. fassen es als Verfassungsdoku-
ment auf, obwohl offen bleiben muss, ob der Rat die
Anregungen der Prädikanten aufnahm.
90 Müller, Aktenstücke, S. 68.
91 Die von Dreher, Geschichte I, S. 387 genannte Neu-
auflage der Zuchtordnung von 1560 lässt sich im Stadt-
archiv Ravensburg nicht nachweisen.
92 Zum Inhalt siehe auch Köhler, Ehegericht II, S. 342f.
93 StadtA Ravensburg Bü 377c/2. Vgl. Köhler, Ehege-
richt II, S. 344.
94 Die kirchenherren waren die Interessenvertreter der
evangelischen Gemeinde gegenüber dem mehrheitlich
katholischen Rat, Warmbrunn, Konfessionen, S. 208f.
95 Stadt A Ravensburg Bii 487c/l.
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