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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Arend, Sabine [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (17. Band, 2. Teilband = Baden-Württemberg, 4): Reutlingen, Ulm, Esslingen, Giengen, Biberach, Ravensburg, Wimpfen, Leutkirch, Bopfingen, Aalen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.30657#0511
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6. Zuchtordnung 1546

sonen von irem ergerlichen leben nit absten wurden,
sollen sy sollichs für ain oberkait komen lassen.
Item, sy sollen auch ir fleissig kundtschafft ha-
ben in jedem hauß auff all und jed sonnder perso-
nen, wie es ain gestalt mit inen habe, unnd die straff
dermassen richten, das der unschuldig des schuldi-
gen nit enntgelten müeß. Item, insonnderhait ist
wol zumercken, so die eltern, vatter unnd muter,
übel hausend, das die straff allain sy betreff und die
kinder, so sich erbarlich halten, derselbigen mit dem
allmusen nit entgelten müessen. In disen stucken
und andern dergleichen, so sich täglich zutragen
mögen, sollen sy ir trewlichs auffmörcken haben,
und was sy für sich selbs nit abwenden oder bessern
mögen, für ain oberkait bringen, die dann mit straff
weither nach gebeur hierinnen handlen württ. |52|
Wir wöllen auch gedachten unsern vier quattier-
maistern und almusenpflegern hierinnen bevolhen
haben, in disen obvermelten unnd andern sachen ain
fleissig unnd getrews aufsehen auff die armen zu-
haben unnd denen, so des allmusens notturfftig sein,
mit aller steur und notturfft, es sey essen, trincken,
klaidung, underhaltung und anders, so die notturfft
erfordert, dermassen dhain mangel lassen, sonnder
sy underhalten, das weder sy noch ire kinder in oder
vor unnser statt nach dem allmusen gangen und vor
den heusern singen oder bitten sollen, sonder dahai-
men in iren heusern mit irer hand arbaith unnd dem
gemainen almusen sich beniegen und erhalten mö-
gen.
Darneben soll den armen lateinischen schu-
lern94 nit abgestrickt sein, das dieselbigen auff er-
lauptnus des schulmaisters in der wochen zwen oder
auffs maißt |53| drey tag unnd nit mer, alls namlich
zinßtag, dornnstag unnd sambstag, zum nachtmal
vor den heusern teutsch oder lateinisch psalmen
oder anndere christenliche gsanng singen. Wir wöl-

e Dieses Kapitel fehlt ZuchtO 1550, 1555.
94 Bereits im Mittelalter war in Ravensburg eine Latein-
schule gegründet worden, Dreher, Geschichte II,
S. 767-769.
95 Frauentor bei der Liebfrauenkirche.
96 Die Ravensburger Kirchenordnung von 1546 ist nicht
erhalten, siehe oben, S. 461.

len inen auch zu disem auß dem gemainen almusen
zimliche hanndtraichung thun lassen.
Der frömbden bettler und straiffer halb wöllen
wir, das dieselbigen hinfüro in unser statt unnd
oberkait vor den heusern nit pitten noch in die heu-
ser geen sollen. Gleichwol wöllen wir nach gelegen-
hait unnd sovil die notturfft erfordert, inen ain steur
unnd hilff, doch alle sonntag und feyrtag zu ymbiß
zeit vor unnser frawen thor95 auß dem gemainen al-
musen geben lassen, und wölchem also auff ainen
sontag oder feyrtag das almusen geben württ, des
nam soll auffgeschriben und ime darbey gesagt wer-
den, das er hinweg ziehe und innerhalb vier wochen
nit mer daheer |54| kome, dann man werde ime in
disen vier wochen alda kain almusen mer geben las-
sen. Gleicher gestalt wöllen wir auch, das es mit den
blinden und andern bettlern, so die ganntzen wo-
chen vor den thoren auff den strassen unnd wegen
sitzen, gehalten werden sölle unnd dieselbigen hie-
mit auch abgeschafft haben.
Wir wöllen auch hie mit diser ordnung all unnd
jede artickel, so in unnser new auffgerichten kir-
chenordnung96 des allmusens halber begriffen sein,
gar dhains wegs abgethon, sonnder die confiermiert
unnd bestät haben. Es sollen auch obvermelt vier
quattiermaister alle quottember97 ainem rath umb
alles ir einnemen und außgeben des allmusens halb
lautere rechnung geben. | 55 |
eVon schulen
Dieweil an zucht unnd besserung der jugendt ainer
ganntzen gemain vil gelegen sein will unnd dieselbig
bißanheer nit zum bessten bedacht oder versehen
worden ist, so wöllen wir hinfüro in unser statt nit
mer dann zwo knabenschulen, das ist ain lateinische
unnd teutsche unnd darzu den jungen döchterlin

97 Die Quatember (Fronfasten) bezeichnen die Vierteilung
des kirchlichen Jahres. Sie liegen in der ersten Fasten-
woche vor Ostern, in der Woche vor Pfingsten, in der
ersten Oktoberwoche und im Advent; vgl. Bieritz,
Kirchenjahr, S. 50, 111f., 149.

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