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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Breitenstein, Mirko: Die Verfügbarkeit der Transzendenz: Das Gewissen der Mönche als Heilsgarant
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0053
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52 | Mirko Breitenstein
die Lektüre dieses und anderer Texte ein Bewusstsein für sein eigenes Fehlverhalten
entwickeln. Ein solches Bewusstsein nun aber war das Gewissen. Die Lektüre über
Sünde, über Laster, über menschliches Fehlen sollte dem Mönch zu einem reflektierten
Blick auf sich selbst verhelfen. Er sollte durch den Text zu sich selbst finden. Der
Lektüre von Traktaten wie den vorzustellenden kann daher wohl eine stimulierende
und katalytische Funktion der Gewissensbildung zugesprochen werden.
Der Mönch soll im eigenen Gewissen nachvollziehen, was der Text als Muster
vorgibt. Und so wird das Gewissen auch folgerichtig als Instanz von ebenso ubiquitärer
Präsenz wie die der Sünde beschrieben: »Wohin ich mich auch wende –
meine Laster folgen mir; und wo auch immer ich gehe – meine conscientia verlässt
mich nicht, sondern ist immer dabei und schreibt auf, was ich tue.« ⁷² Wenn aber im
Gewissen alles notiert ist, kann der Mönch – wie schon beschrieben – im Gewissen
sein Leben wieder und wieder lesen. ⁷³ Und diese beständige Lektüre ist die beste
Voraussetzung für das umfassende Bekenntnis aller Verfehlungen. Die Beichte nämlich,
sofern sie aufrichtig erfolgt, sei, so der Text, nach der Taufe das einzige dem
Menschen verbliebene Heilmittel. ⁷⁴ Alle Hoffnung und jegliche Barmherzigkeit lägen
in der Beichte und niemand könne von einer Sünde gerechtfertigt werden, wenn
er diese nicht zuvor gebeichtet habe. ⁷⁵
Die Beichte reinigt den Sünder, wie die Figur des pater spiritualis im Traktat
»Vom inneren Haus« auf die Bekenntnisse des Mönches ausführt: Alles nämlich
wird in der Beichte abgewaschen, das Gewissen wird gereinigt, die Bitterkeit hinweggenommen,
die Sünde geflohen, die Ruhe zurückgegeben, die Hoffnung belebt,
der Geist erheitert. ⁷⁶ Daher versuche der Teufel, wie Petrus Cellensis als scharfsinniger
Kenner der mönchischen Psyche zu berichten weiß, die Beichte durch seine
Waffen Scham, Angst, Vermessenheit oder Neid zu behindern. ⁷⁷ Gelingt es dem
72 Nam quocumque me verto, vitia mea me sequuntur: ubicumque vado, conscientia mea non me deserit,
sed praesens assistit, et quidquid facio, scribit. Idcirco quanquam humana subterfugiam judicia, judicium
propriae conscientiae fugere non valeo. Tractatus de interiori domo (wie Anm. 5), cap. 18, 30, Sp.
523.
73 Vgl. oben Anm. 62.
74 Post baptismum nullum aliud nobis constitutum est remedium quam confessionis refugium. Tractatus de
interiori domo (wie Anm. 5), cap. 21, 43, Sp. 530.
75 Omnis namque spes veniae et misericordiae in confessione est, nec potest quis justificari a peccato, nisi
prius fuerit confessus peccatum. Ex eo enim unusquisque justus esse incipit, ex quo sui accusator exstiterit.
Tractatus de interiori domo (wie Anm. 5), cap. 1, 1, Sp. 509.
76 Omnia etenim in confessione lavantur: conscientia mundatur, amaritudo tollitur, peccatum fugatur,
tranquillitas redit, spes reviviscit, animus hilarescit. Tractatus de interiori domo (wie Anm. 5), cap.
21, 43, Sp. 530. Zum Motiv der Reinigung von Sünden durch Reue, Beichte und Buße vgl. mit reichem
Textmaterial: Meinolf Schumacher, Sündenschmutz und Herzensreinheit. Studien zur Metaphorik der
Sünde in lateinischer und deutscher Literatur des Mittelalters (Münstersche Mittelalter-Schriften 73),
München 1996, S. 433 – 450.
77 Impedit denique puritatem confitentis vel intentionem confitendi, aut in infectione simulationis, aut
detruncatione integritatis. Quibus gladiis? Pudoris, timoris, praesumptionis et aemulationis. Pudor
 
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