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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Rentsch, Thomas: Transzendenz erleben: Kommentar zur Sektion Bändigung der Transzendenz – Transzendenz erleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0059
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58 | Thomas Rentsch
mit allem Überflüssigen. Wesentlich für den Habit ist dabei nicht die Armut, die
Ärmlichkeit der Kleidung, sondern ihre Uniformität, die die Inkorporation in die
Gemeinschaft anzeigt. Ferner werden Schlafen und Essen nun koordiniert geregelt,
wobei Lebensalter und Gesundheit bzw. Schwäche berücksichtigt werden. Die
Mahlzeiten werden schweigend eingenommen, alle Teilnehmenden hören dabei eine
gemeinsame Lesung. Zuspätkommende werden bestraft.
Die kollektive monastische Gemeinschaft wird noch dadurch prägnant konstituiert,
dass sie indifferent bezüglich Differenzen ist, wie Dalarun schreibt. Der
Mönch trennt sich von Familie, Verwandten und früheren Bindungen. Die benediktinische
Gemeinschaft ist dabei nicht egalitär, sie achtet eben nur nicht auf für diese
Gemeinschaft irrelevante Ungleichheiten. Besondere Fähigkeiten oder Leistungen
berechtigen nicht zu Stolz.
Dalarun akzentuiert, dass das Organisationsparadigma der Benediktiner nicht
primär militärisch zu verstehen ist, sondern eher handwerklich: Das Kloster ist ein
»workshop« (officina), der Mönch ein Arbeiter, Handwerker (operarius) des Herrn.
Ja, die gesamte Organisation des mönchischen Lebens entstammt dem Opus Dei.
Um ihren Stolz zu besiegen, betreiben die Brüder Handwerk oder sie studieren die
Schrift. Besondere Bedeutung kommt natürlich der Liturgie zu. Dalarun vergegenwärtigt
eindrücklich, wie stark und streng das mönchische Leben Tag für Tag und
insbesondere auch Nacht für Nacht um die Liturgie organisiert ist. Der gesamte
vergemeinschaftete Leib lebt so nach dem gleichen Rhythmus, bis zum Besuch der
Toilette. Dieser Leib muss, soll mit einer Stimme singen. Und er muss auch des
Nachts stets einsatzfähig sein – sonst droht Strafe.
Abschließend entwickelt Herr Dalarun Überlegungen zum höchst spannenden
Thema des Verhältnisses von Mönchtum und Moderne. Die mittelalterlichen Klöster
lassen sich als Laboratorien sozialen Lebens verstehen, als Mikro-Gesellschaften
in vitro, in denen das Experiment, eine andere, neue Welt zu gründen, das erklärte
Ziel war, in der Individuum und Gemeinschaft, Leib und Geist eine höhere Einheit
bilden. Dalarun, und das ist die zentrale und weitreichende These, hebt hervor,
dass wesentlichen, tragenden sozialen Praxisformen unserer modernen Gesellschaften,
so den Schulen, den Krankenhäuser und den Gefängnissen, unzweifelhaft die
klösterliche Grundstruktur anhaftet. Man könnte ergänzen: Gilt das nicht auch für
die Sportvereine, den Schachclub, das Parlament, die Parteien, die Rechtsinstitute,
Wissenschaft und Forschung – denken wir an die Laboratorien oder das Genfer
Kernforschungszentrum, aber auch an das noch existierende normale mittelständische
Familienleben. Die überall unverzichtbare Selbstdisziplinierung entspricht
der monastischen konzentriert-verzichtenden Lebensform der Benediktiner, die
auch alle Ablenkung zu vermeiden sucht. Auch diese Lebensform zielt nicht auf
Erschöpfung (heute: »burn out«), sondern auf Effizienz.
 
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