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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Rentsch, Thomas: Transzendenz erleben: Kommentar zur Sektion Bändigung der Transzendenz – Transzendenz erleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0060
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Transzendenz erleben | 59
Dalarun bezieht sich nun auf die Webersche Kernthese über die protestantische
Ethik und den Geist des Kapitalismus. Obwohl keine unmittelbare Genealogie
zwischen Puritanismus und Kapitalismus aufweisbar sein mag, so ist nach Dalarun
die These weiterhin relevant. Es ist weiterhin überzeugend, dass die monastische
Lebensform ein, wenn nicht das vormoderne Paradigma für effizienz-orientierte
soziale Organisation von Arbeitsprozessen darstellt. Sogar die für die Spätmoderne
charakteristische Übersteigerung vieler Stressfaktoren im Arbeitsleben findet ihr
Vorbild im klösterlichen Schlafmangel – mit Dalaruns Worten: body under stress.
Ich knüpfe noch zwei vielleicht weiterführende Überlegungen an die Analyse
von Herrn Dalarun an. Erstens lese ich die Analyse als stark von Ludwig Wittgenstein
geprägter Philosoph. Und ich stelle fest, dass dessen kritische Hermeneutik in
seiner Spätphilosophie durch die Analysen des mittelalterlichen Mönchstums glänzend
bestätigt wird: In der Tat erfolgt Bedeutungskonstitution – auch im Blick auf
Leib und Geist – im Kern inmitten der jeweiligen menschlichen Lebensform und
Lebenspraxis. Und inmitten dieser konkreten Praxis haben auch die Sprachpraxen
ihren Sitz und ihren Ort, die jeweiligen Sprachspiele in Wittgensteins Diktion. So
lassen sich die Lesungen, die Gebete, die Liturgie verstehen. Ebenso findet bereits
die biblisch überlieferte Praxis Jesu in diesem Kontext Rezeption und Aufnahme,
ebenso die paulinische Verkündigung. Es gibt kaum ein Paradigma, das diese von
Wittgenstein ins Zentrum gerückte konstitutive Verbindung von Sprachspielen und
Lebensform so prägnant vor Augen führt, wie die mönchische Praxis; und dies viele
Jahrhunderte lang.
Noch weiter geht ein an Wittgenstein orientiertes Verständnis der Analyse. Seine
Hermeneutik von Bedeutung und Gebrauch und des sprachlichen Regelfolgens
führt bekanntlich zum sogenannten Privatsprachenargument, das sich gerade gegen
private, subjektive Sprach- und Selbstverständnisse richtet. Solche subjektivistischen
Verständnisse sind genau genommen unmöglich und falsch. Und auch hier
ist das gemeinschaftliche, nicht subjektivistische Sprach- und Praxisverständnis der
mönchischen Lebensform mit dieser Analyse auf ausgezeichnete Weise konform.
Was diese Übereinstimmung bedeuten mag, muss ich hier offen lassen. Ist Wittgensteins
Analyse nicht deskriptiv, die mönchische Lebensform im höchsten Maße normativ?
Nein, Wittgensteins Analyse ist negativ-kritisch gegen falsche Verständnisse
gerichtet, also auch normativ. Was bedeutet die Übereinstimmung für eine kritische
Religionsphilosophie? Ich weise noch darauf hin, dass Wittgenstein eine Zeit lang
den Gang ins Kloster erwog.
Meine zweite Überlegung bezieht sich auf Max Weber. Persönlich bemerke ich,
dass mich als Protestant und Lutheraner seine Protestantismus-Kapitalismus-These
immer geärgert hat, insbesondere, da ich Gottes Gnade und Liebe niemals durch eigene
Leistung und Effizienz erreichen kann. Gott würde zur Funktion meiner Leis-
 
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