Transzendenz erleben | 61
nichts gut in der Welt, als allein ein guter Wille.«) Ja ich gehe weiter und behaupte,
dass Kant in der Schrift »Die Religion in den Grenzen der reinen Vernunft« völlig
konform mit den von Breitenstein rekonstruierten Autoren des Hochmittelalters
ebenso lehrt, dass der Akt des Wollens für die imitatio Christi fundamental ist und
auf die Verantwortung für die eigene Person verweist, mithin auf die unverzichtbare
(Kant: die »unbedingte«) Notwendigkeit, mir meiner selbst bewusst zu werden,
mich selbst zu erkennen, mich zu prüfen. Kurz: Ich muss ein anderer Mensch werden,
sonst gibt es kein Heil. Völlig zurecht betont Breitenstein angesichts dieses
Selbstprüfungsrigorismus der monastischen Eliten, dass hier »einer der wesentlichen
Impulse [...] auch für die Moderne begründet« wird. Und – auch das ist streng
kantisch – diese unverzichtbare moralische Selbstbewusstwerdung ist nie gänzlich
erreichbar und zum Abschluss zu bringen. Breitenstein sieht hier die kulturelle
Identität Europas im Entstehen begriffen. Ich sehe dies ebenso – das gemeinsame
Streben nach dem authentischen guten Leben verbindet dann daraufhin solche
existentiellen und sozialen Lebensformkonzepte wie individuelle Entfaltung der
Persönlichkeit und Fortschritt. Im Blick auf Weber sei bereits angemerkt, dass kapitalistische
Effizienz allein eine extreme Engführung dieser Sinntradition darstellt.
Das von Breitenstein aufgewiesene Ringen um existentielle Selbsterkenntnis zeigt
sich auch an der Bedeutung der Beichte und der permanenten Selbstprüfung, so
bei Bernhard von Clairvaux und Wilhelm von Thierry. Besonders wichtig ist dabei
die Freiwilligkeit der confessio. Mit Kant: Moral ist ohne Autonomie nicht möglich
(wohl das Recht) und sie ist konstitutiv verbunden mit der Erkenntnis des »radikalen
Bösen in der menschlichen Natur«.
Breitenstein macht deutlich, dass seine Analyse die von Norbert Elias zur Affektkontrolle
als Grundlage des Prozesses der Zivilisation bestätigt. Ferner: Die
Ungewissheit der Selbsterkenntnis, die auch Kant erkenntniskritisch herausarbeitet
(und die schon im sokratischen Nichtwissen gedacht ist), führt zu Luthers Rechtfertigungslehre
und Gnadentheologie (sola gratia), bei Kant zur Unverzichtbarkeit
der Hoffnungsdimension für die praktische Vernunft. Ja es zeichnen sich in den
skrupulösen mittelalterlichen Reflexionen zur Heilsungewissheit geradezu freudianische
Aspekte vor, wenn von nicht begangenen Morden, unterlassener Unzucht,
nicht geäußertem Hass im Buch des Gewissens die Rede ist. Unbewusstes, Angst,
Trieb, Verdrängung, Kompensation – was ist dies anderes? Ich zitiere wiederum
Kant: »Es sei in dem Unglück unsrer besten Freunde etwas, das uns nicht ganz
missfällt«. (»Die Religion in den Grenzen der reinen Vernunft«, AA VI: 33) Angesichts
der Frage Schelskys bejaht Breitenstein, dass in der monastischen Tradition
Dauerreflexion zweifellos institutionalisierbar ist. Ich merke hier an: Besagt dies
nicht etwas für die grundlegenden Praxisformen von Neuzeit und Moderne? Ich
denke an Verhandlungen und Rechtsverfahren, an Demokratie und Parlamentaris-
nichts gut in der Welt, als allein ein guter Wille.«) Ja ich gehe weiter und behaupte,
dass Kant in der Schrift »Die Religion in den Grenzen der reinen Vernunft« völlig
konform mit den von Breitenstein rekonstruierten Autoren des Hochmittelalters
ebenso lehrt, dass der Akt des Wollens für die imitatio Christi fundamental ist und
auf die Verantwortung für die eigene Person verweist, mithin auf die unverzichtbare
(Kant: die »unbedingte«) Notwendigkeit, mir meiner selbst bewusst zu werden,
mich selbst zu erkennen, mich zu prüfen. Kurz: Ich muss ein anderer Mensch werden,
sonst gibt es kein Heil. Völlig zurecht betont Breitenstein angesichts dieses
Selbstprüfungsrigorismus der monastischen Eliten, dass hier »einer der wesentlichen
Impulse [...] auch für die Moderne begründet« wird. Und – auch das ist streng
kantisch – diese unverzichtbare moralische Selbstbewusstwerdung ist nie gänzlich
erreichbar und zum Abschluss zu bringen. Breitenstein sieht hier die kulturelle
Identität Europas im Entstehen begriffen. Ich sehe dies ebenso – das gemeinsame
Streben nach dem authentischen guten Leben verbindet dann daraufhin solche
existentiellen und sozialen Lebensformkonzepte wie individuelle Entfaltung der
Persönlichkeit und Fortschritt. Im Blick auf Weber sei bereits angemerkt, dass kapitalistische
Effizienz allein eine extreme Engführung dieser Sinntradition darstellt.
Das von Breitenstein aufgewiesene Ringen um existentielle Selbsterkenntnis zeigt
sich auch an der Bedeutung der Beichte und der permanenten Selbstprüfung, so
bei Bernhard von Clairvaux und Wilhelm von Thierry. Besonders wichtig ist dabei
die Freiwilligkeit der confessio. Mit Kant: Moral ist ohne Autonomie nicht möglich
(wohl das Recht) und sie ist konstitutiv verbunden mit der Erkenntnis des »radikalen
Bösen in der menschlichen Natur«.
Breitenstein macht deutlich, dass seine Analyse die von Norbert Elias zur Affektkontrolle
als Grundlage des Prozesses der Zivilisation bestätigt. Ferner: Die
Ungewissheit der Selbsterkenntnis, die auch Kant erkenntniskritisch herausarbeitet
(und die schon im sokratischen Nichtwissen gedacht ist), führt zu Luthers Rechtfertigungslehre
und Gnadentheologie (sola gratia), bei Kant zur Unverzichtbarkeit
der Hoffnungsdimension für die praktische Vernunft. Ja es zeichnen sich in den
skrupulösen mittelalterlichen Reflexionen zur Heilsungewissheit geradezu freudianische
Aspekte vor, wenn von nicht begangenen Morden, unterlassener Unzucht,
nicht geäußertem Hass im Buch des Gewissens die Rede ist. Unbewusstes, Angst,
Trieb, Verdrängung, Kompensation – was ist dies anderes? Ich zitiere wiederum
Kant: »Es sei in dem Unglück unsrer besten Freunde etwas, das uns nicht ganz
missfällt«. (»Die Religion in den Grenzen der reinen Vernunft«, AA VI: 33) Angesichts
der Frage Schelskys bejaht Breitenstein, dass in der monastischen Tradition
Dauerreflexion zweifellos institutionalisierbar ist. Ich merke hier an: Besagt dies
nicht etwas für die grundlegenden Praxisformen von Neuzeit und Moderne? Ich
denke an Verhandlungen und Rechtsverfahren, an Demokratie und Parlamentaris-