Metadaten

Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

DOI Artikel:
Rentsch, Thomas: Transzendenz erleben: Kommentar zur Sektion Bändigung der Transzendenz – Transzendenz erleben
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0063
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
62 | Thomas Rentsch
mus, an den wissenschaftsbegründenden Falsifikationismus, ja an ein Modell wie
die Diskursethik.
Wie Dalarun hebt Breitenstein hervor, dass die rekonstruierte durchaus fundamental
existentielle Ebene der Selbsterkenntnis gerade mitnichten subjektivistischprivatistisch
zu verstehen ist. Denn die Moral, nach der das Gewissen ruft, ist auf
Einsicht in Geltung bezogen, und diese ist nur inter- bzw. transsubjektiv überhaupt
möglich. »Dein Gesetz bindet dich« – lex tua te constringit, so zitiert er den »Traktat
vom inneren Haus«. Autonomie als Selbstgesetzgebung durch den kategorischen
Imperativ – sie ist mit diesem mittelalterlichen Ansatz höchst kompatibel,
ebenso mit dem Wort des Petrus Cellensis: »Im eigenen Gewissen wird das des
Nächsten mit aufgebaut.«
Die abschließende Kernthese von Breitenstein: In der klösterlichen Gemeinschaft
werde durch ihre Regel die »Freiheit zur Transzendenz« eröffnet, und dies,
»indem die Transzendenz Gottes im Gewissen immanent wurde«, bestätigt, vertieft
und radikalisiert die Analyse von Dalarun. Und es zeigt sich in der radikalen
Ernsthaftigkeit der thematisierten innovativen Lebens-, Praxis- und Sprachformen,
dass sich in ihnen Neuzeit, Aufklärung und Moderne auf ausgezeichnete Weise
vorzeichnen, und dies im Modus einer existentiell authentischen Hermeneutik der
genuinen Vernunftpotentiale der christlichen (und in Teilen auch der griechischen)
Tradition. Dafür spricht besonders die von Herrn Breitenstein herausgearbeitete
Freiheitsperspektive (ich denke hier auch an Luthers »Von der Freiheit eines
Christenmenschen«). Universalität, Autonomie des Individuums und unbedingte
Menschenwürde bestehen bereits mitten im Mittelalter in profilierten Entwürfen
zusammen, weit über das hinaus, was Max Weber sieht. Und – ein letzter philosophischer
Kommentar: Wenn Menschen zu sehr unterschiedlichen Zeiten in sehr
unterschiedlichen Kulturen zu gleichen fundamentalen Geltungseinsichten gelangen
– zeugt dies nicht von einer Ebene unbedingter Geltung? Von einer Ebene, die
auch wir noch keineswegs in unserer Wirklichkeit erreicht haben?
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften