68 | Ulrich Köpf
flechtungen gefordert, ²⁴ sondern in manchen Regionen sogar durch Vertreibung der
bäuerlichen Bevölkerung künstliche Einöden geschaffen. ²⁵ Schon früh wurde vom
Generalkapitel verboten, in größeren und kleineren Ansiedlungen Niederlassungen
zu errichten. ²⁶ Auch die Kartäuser strebten bei ihren Niederlassungen ursprünglich
nach Siedlungsferne und bezeichneten ihr Klostergebiet grundsätzlich als »Wüste«
(heremus). ²⁷ Ihre ältesten Consuetudines verbieten jeden Besitz außerhalb der Grenzen
ihres Klosterareals, um allen Kontakt mit der Umgebung zu vermeiden. ²⁸ Dass
sich die ursprünglichen Vorstellungen – vor allem bei den Zisterziensern – nicht
sehr lange aufrecht halten ließen, steht auf einem anderen Blatt. Hier geht es in
erster Linie um die Ideale der Frühzeit, des 12. Jahrhunderts.
Wichtiger noch als die räumliche und strukturelle Abgrenzung gegen die Welt
ist für die Entfaltung individueller Frömmigkeit die interne Regelung des Gemeinschaftslebens.
Hier fragen wir zuerst nach den Gelegenheiten, bei denen, und insbesondere
nach den Orten innerhalb des Klosters, an denen sich der einzelne Mönch
um Annäherung an Gott bemühen kann. Im frühmittelalterlichen Mönchtum scheinen
die Ansätze zur Pflege einer individuellen Frömmigkeit, die wir bereits in der
Benediktsregel beobachten konnten, gegenüber kollektiven Verhaltensweisen zurückzutreten.
Doch mag dieser Eindruck auf einem Mangel an Quellen beruhen.
Aus der großen Zahl von Klöstern mit zahlreichen Mönchen gibt es kaum persönliche
Zeugnisse, am ehesten von Äbten; aber auch in ihnen ist vieles stilisiert. ²⁹ Wenn
man von Konventen wie dem Clunys liest – mit Hunderten von Chormönchen
und der intensiven Pflege eines quantitativ immer weiter ausgedehnten Chorgebets,
das schließlich den ganzen Tag ausfüllte –, dann mögen wir uns fragen, wie unter
solchen Bedingungen neben dem ritualisierten Umgang mit Gott überhaupt Raum
und Gelegenheit für eine individuelle Annäherung an ihn blieben. Das Leben im
Zisterzienserkloster wirft ähnliche Fragen auf. Wann und wo hatten Zisterzienser
Gelegenheit, sich um persönliche Annäherung an Gott zu bemühen? Wie konnte
24 Exordium Cistercii, Summa Cartae Caritatis et Capitula (wie Anm. 19), hier Capitula cisterciensis ordinis,
cap. 23, 2, S. 124: Ecclesias, altaria, sepulturas, decimas alieni laboris vel nutrimenti, villas, villanos,
terrarum census, furnorum vel molendinorum redditus et caetera his similia monasticae puritati adversantia
nostri et nominis et ordinis excludit institutio.
25 Besonders auffällig im dicht bevölkerten England; vgl. Robin Arthur Donkin, The Cistercians: Studies
in the Geography of Medieval England and Wales (Studies and Texts 38), Toronto 1978.
26 Exordium Cistercii, Summa Cartae Caritatis et Capitula (wie Anm. 19), hier Capitula cisterciensis ordinis
cap. 9, 3, S. 121: In civitatibus castellis villis nulla construenda esse coenobia.
27 Guigues I ᵉʳ , Coutumes de Chartreuses (Sources chrétiennes 313/Série des textes monastiques d’Occident
52), Paris 1984, cap. 23, 1, S. 214, Z. 4; cap. 74, 1, S. 280, Z. 4 f.: in den Professformeln.
28 Guigues I ᵉʳ , Coutumes (wie Anm. 27), cap. 41, 1, S. 244, Z. 5 – 8: statuimus, quatinus loci huius habitatores
extra suae terminos heremi nichil omnino possideant. Id est non agros, non vineas, non ortos, non
ecclesias, non cimitteria, non oblationes, non decimas, et quaecumque huiusmodi.
29 Eine hervorragende Ausnahme bildet im 11. Jahrhundert Otloh von St. Emmeram mit seinen autobiographischen
Schriften Liber de temptationibus cuiusdam monachi und Liber visionum.
flechtungen gefordert, ²⁴ sondern in manchen Regionen sogar durch Vertreibung der
bäuerlichen Bevölkerung künstliche Einöden geschaffen. ²⁵ Schon früh wurde vom
Generalkapitel verboten, in größeren und kleineren Ansiedlungen Niederlassungen
zu errichten. ²⁶ Auch die Kartäuser strebten bei ihren Niederlassungen ursprünglich
nach Siedlungsferne und bezeichneten ihr Klostergebiet grundsätzlich als »Wüste«
(heremus). ²⁷ Ihre ältesten Consuetudines verbieten jeden Besitz außerhalb der Grenzen
ihres Klosterareals, um allen Kontakt mit der Umgebung zu vermeiden. ²⁸ Dass
sich die ursprünglichen Vorstellungen – vor allem bei den Zisterziensern – nicht
sehr lange aufrecht halten ließen, steht auf einem anderen Blatt. Hier geht es in
erster Linie um die Ideale der Frühzeit, des 12. Jahrhunderts.
Wichtiger noch als die räumliche und strukturelle Abgrenzung gegen die Welt
ist für die Entfaltung individueller Frömmigkeit die interne Regelung des Gemeinschaftslebens.
Hier fragen wir zuerst nach den Gelegenheiten, bei denen, und insbesondere
nach den Orten innerhalb des Klosters, an denen sich der einzelne Mönch
um Annäherung an Gott bemühen kann. Im frühmittelalterlichen Mönchtum scheinen
die Ansätze zur Pflege einer individuellen Frömmigkeit, die wir bereits in der
Benediktsregel beobachten konnten, gegenüber kollektiven Verhaltensweisen zurückzutreten.
Doch mag dieser Eindruck auf einem Mangel an Quellen beruhen.
Aus der großen Zahl von Klöstern mit zahlreichen Mönchen gibt es kaum persönliche
Zeugnisse, am ehesten von Äbten; aber auch in ihnen ist vieles stilisiert. ²⁹ Wenn
man von Konventen wie dem Clunys liest – mit Hunderten von Chormönchen
und der intensiven Pflege eines quantitativ immer weiter ausgedehnten Chorgebets,
das schließlich den ganzen Tag ausfüllte –, dann mögen wir uns fragen, wie unter
solchen Bedingungen neben dem ritualisierten Umgang mit Gott überhaupt Raum
und Gelegenheit für eine individuelle Annäherung an ihn blieben. Das Leben im
Zisterzienserkloster wirft ähnliche Fragen auf. Wann und wo hatten Zisterzienser
Gelegenheit, sich um persönliche Annäherung an Gott zu bemühen? Wie konnte
24 Exordium Cistercii, Summa Cartae Caritatis et Capitula (wie Anm. 19), hier Capitula cisterciensis ordinis,
cap. 23, 2, S. 124: Ecclesias, altaria, sepulturas, decimas alieni laboris vel nutrimenti, villas, villanos,
terrarum census, furnorum vel molendinorum redditus et caetera his similia monasticae puritati adversantia
nostri et nominis et ordinis excludit institutio.
25 Besonders auffällig im dicht bevölkerten England; vgl. Robin Arthur Donkin, The Cistercians: Studies
in the Geography of Medieval England and Wales (Studies and Texts 38), Toronto 1978.
26 Exordium Cistercii, Summa Cartae Caritatis et Capitula (wie Anm. 19), hier Capitula cisterciensis ordinis
cap. 9, 3, S. 121: In civitatibus castellis villis nulla construenda esse coenobia.
27 Guigues I ᵉʳ , Coutumes de Chartreuses (Sources chrétiennes 313/Série des textes monastiques d’Occident
52), Paris 1984, cap. 23, 1, S. 214, Z. 4; cap. 74, 1, S. 280, Z. 4 f.: in den Professformeln.
28 Guigues I ᵉʳ , Coutumes (wie Anm. 27), cap. 41, 1, S. 244, Z. 5 – 8: statuimus, quatinus loci huius habitatores
extra suae terminos heremi nichil omnino possideant. Id est non agros, non vineas, non ortos, non
ecclesias, non cimitteria, non oblationes, non decimas, et quaecumque huiusmodi.
29 Eine hervorragende Ausnahme bildet im 11. Jahrhundert Otloh von St. Emmeram mit seinen autobiographischen
Schriften Liber de temptationibus cuiusdam monachi und Liber visionum.