Annäherung an Gott im Kloster | 69
sich im Kloster überhaupt eine religiöse Intimität entwickeln, wenn sich das ganze
Leben des normalen Mönchs Tag und Nacht in der Gemeinschaft abspielte? Wie
es die Benediktsregel vorschreibt, ³⁰ schliefen auch die Zisterzienser zunächst in einem
gemeinsamen Schlafsaal. Erst später gingen sie dazu über, diesen Schlafsaal
durch Vorhänge oder gar durch hölzerne Trennwände gewissermaßen in Kabinen
aufzuteilen, die zwar die gegenseitige Sicht, aber nicht das Hören und die dadurch
verursachten Störungen verhinderten.
Eine grundlegende Voraussetzung für die Pflege des persönlichen Umgangs mit
Gott bildet unter solchen Umständen das Schweigen der Mitbrüder. Auch dafür ist
die Benediktsregel grundlegend, die ein kurzes Grundsatzkapitel der Schweigsamkeit
widmet ³¹ und zusätzlich in verschiedenen Kontexten Stillschweigen fordert, am
nachdrücklichsten für die Zeit nach der Komplet. ³² Die Nachtruhe bietet also zum
einen Gelegenheit zu stillem Gebet und Meditieren. Eine zweite Möglichkeit stellt
die lectio divina dar, für die in der Regel reichlich Zeit eingeräumt ist und die vor
allem im Kreuzgang stattfindet. ³³ Diese Lesung soll durch ältere Brüder überwacht
werden, die dafür sorgen sollen, dass sie nicht durch Müßiggang oder gar durch
Schwatzen unterbrochen wird. ³⁴ Schließlich besteht auch während der Mittagsruhe
auf den Betten die Erlaubnis zum Lesen; doch soll still gelesen werden, sodass kein
Mitbruder dadurch gestört wird. ³⁵ Da geistliche, in der Regel biblische Bücher gelesen
werden, bietet die Lesung von vornherein auch die Anregung zum persönlichen
Verkehr mit Gott.
Schließlich bietet sich auch im Rahmen des gemeinsamen Gebets im Chor Gelegenheit
zu individuellem Umgang mit Gott. So ist bereits durch die Benediktsregel
innerhalb des opus Dei eine individuelle oratio vorgesehen, die in Reinheit des
Herzens und zerknirschtem Weinen stattfinden soll. ³⁶ Nach dem opus Dei sollen
alle Mönche in tiefem Schweigen den Chor verlassen, um den, der für sich allein
beten will (sibi peculiariter orare), nicht dabei zu stören. ³⁷ Außerdem ist es jedem
erlaubt, allein das Oratorium aufzusuchen, um dort in der Stille, unter Tränen und
aus inbrünstigem Herzen zu beten. ³⁸
30 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 22, 3, S. 108: Si potest fieri, omnes in uno loco dormiant.
31 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 6, S. 78 – 80: De taciturnitate.
32 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 42, 1, S. 134: Omni tempore silentium debent studere monachi, maxime
tamen nocturnis horis; cap. 42, 8, S. 136: exeuntes a Completoriis nulla sit licentia denuo cuiquam
loqui aliquid.
33 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 48, S. 144/146.
34 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 48, 17 f., S. 146.
35 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 48, 5, S. 144.
36 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 20, S. 106.
37 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 52, 2 f., S. 150.
38 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 52, 4, S. 150: Sed et si aliter vult sibi forte secretius orare, simpliciter
intret et oret, non in clamosa voce, sed in lacrimis et intentione cordis.
sich im Kloster überhaupt eine religiöse Intimität entwickeln, wenn sich das ganze
Leben des normalen Mönchs Tag und Nacht in der Gemeinschaft abspielte? Wie
es die Benediktsregel vorschreibt, ³⁰ schliefen auch die Zisterzienser zunächst in einem
gemeinsamen Schlafsaal. Erst später gingen sie dazu über, diesen Schlafsaal
durch Vorhänge oder gar durch hölzerne Trennwände gewissermaßen in Kabinen
aufzuteilen, die zwar die gegenseitige Sicht, aber nicht das Hören und die dadurch
verursachten Störungen verhinderten.
Eine grundlegende Voraussetzung für die Pflege des persönlichen Umgangs mit
Gott bildet unter solchen Umständen das Schweigen der Mitbrüder. Auch dafür ist
die Benediktsregel grundlegend, die ein kurzes Grundsatzkapitel der Schweigsamkeit
widmet ³¹ und zusätzlich in verschiedenen Kontexten Stillschweigen fordert, am
nachdrücklichsten für die Zeit nach der Komplet. ³² Die Nachtruhe bietet also zum
einen Gelegenheit zu stillem Gebet und Meditieren. Eine zweite Möglichkeit stellt
die lectio divina dar, für die in der Regel reichlich Zeit eingeräumt ist und die vor
allem im Kreuzgang stattfindet. ³³ Diese Lesung soll durch ältere Brüder überwacht
werden, die dafür sorgen sollen, dass sie nicht durch Müßiggang oder gar durch
Schwatzen unterbrochen wird. ³⁴ Schließlich besteht auch während der Mittagsruhe
auf den Betten die Erlaubnis zum Lesen; doch soll still gelesen werden, sodass kein
Mitbruder dadurch gestört wird. ³⁵ Da geistliche, in der Regel biblische Bücher gelesen
werden, bietet die Lesung von vornherein auch die Anregung zum persönlichen
Verkehr mit Gott.
Schließlich bietet sich auch im Rahmen des gemeinsamen Gebets im Chor Gelegenheit
zu individuellem Umgang mit Gott. So ist bereits durch die Benediktsregel
innerhalb des opus Dei eine individuelle oratio vorgesehen, die in Reinheit des
Herzens und zerknirschtem Weinen stattfinden soll. ³⁶ Nach dem opus Dei sollen
alle Mönche in tiefem Schweigen den Chor verlassen, um den, der für sich allein
beten will (sibi peculiariter orare), nicht dabei zu stören. ³⁷ Außerdem ist es jedem
erlaubt, allein das Oratorium aufzusuchen, um dort in der Stille, unter Tränen und
aus inbrünstigem Herzen zu beten. ³⁸
30 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 22, 3, S. 108: Si potest fieri, omnes in uno loco dormiant.
31 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 6, S. 78 – 80: De taciturnitate.
32 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 42, 1, S. 134: Omni tempore silentium debent studere monachi, maxime
tamen nocturnis horis; cap. 42, 8, S. 136: exeuntes a Completoriis nulla sit licentia denuo cuiquam
loqui aliquid.
33 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 48, S. 144/146.
34 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 48, 17 f., S. 146.
35 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 48, 5, S. 144.
36 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 20, S. 106.
37 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 52, 2 f., S. 150.
38 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 52, 4, S. 150: Sed et si aliter vult sibi forte secretius orare, simpliciter
intret et oret, non in clamosa voce, sed in lacrimis et intentione cordis.