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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Köpf, Ulrich: Annäherung an Gott im Kloster
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0079
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78 | Ulrich Köpf
Stolzes, des Gegenteils der Demut, an (Kap. 28 –56). Das Scharnier zwischen beiden
Teilen bildet Kapitel 27, in dem der Verfasser unter Berufung auf die Bewegung
der Engel auf der Jakobsleiter darlegt, dass Aufstieg und Abstieg dieselbe Struktur
haben und dieselben Stufen benutzen. ¹⁰¹ Deshalb beschreibt er im zweiten Teil
die wohlbekannten Stufen des Stolzes so, dass der weniger bekannte Aufstieg in
der Demut leicht daraus abgeleitet werden kann. ¹⁰² Im Übrigen verbindet er das
Aufstiegsschema der Benediktsregel mit den drei natürlichen Stadien der religiösen
Entwicklung: den Stufen der Anfänger, der Fortgeschrittenen und der Vollkommenen.
¹⁰³ Die Vollkommenen leben in der Kontemplation; die Vollendung des Weges
der Demut vollzieht sich in der Erkenntnis der Wahrheit bei Gott. ¹⁰⁴ Dadurch verbindet
Bernhard den Aufstieg auf den drei Entwicklungsstufen zugleich mit dem
Weg zur Wahrheit, in dessen Mittelpunkt für ihn unter verschiedenen Aspekten die
Selbsterkenntnis steht – jene Selbsterkenntnis, die in ihrer unlösbaren Verbindung
mit der Gotteserkenntnis ein zentrales systematisches Element seiner monastischen
Theologie bildet. So kann die Annäherung an Gott geradezu durch eine von Demut
geprägte Selbsterkenntnis geschehen, die sich grundlegend von dem aristotelisch
geprägten Erkenntnisweg der Scholastik unterscheidet. Ein zweiter Weg geht über
den Affekt, der den Menschen zur Einfühlung in die Wahrheit im Nächsten führt,
ein dritter schließlich zur Betrachtung der Wahrheit in ihrem Wesen (natura), die
in der Entrückung, dem excessus contemplationis, erreicht wird. ¹⁰⁵ Diese sublime
Verbindung verschiedener Aufstiegsschemata zeigt den Zisterzienser als spekulativen
Theologen.
Doch Bernhard kennt auch noch andere Gestalten des Aufstiegs als Weg zu
Gott, die hier nur kurz erwähnt werden sollen. In seiner späten Schrift De consideratione
für Papst Eugen III. ¹⁰⁶ formuliert er eine Anleitung zur Betrachtung
(consideratio) als einem angespannten Nachdenken zum Aufspüren der Wahrheit. ¹⁰⁷
Als Gegenstände dieser Betrachtung empfiehlt er dem Empfänger vier Themen:
erstens den Betrachtenden selbst, seine natürliche Beschaffenheit, seine Person und
101 Bernhard von Clairvaux, De gradibus (wie Anm. 100), cap. 27, S. 86, Z. 12–15: iidem gradus sunt
ascendentium in solium et descendentium, et eadem via accedentium ad civitatem et recedentium, et
unum ostium est ingredentium domum et egredentium. Per unam denique scalam ascendentes angeli
et descendentes Iacob apparuerunt.
102 Bernhard von Clairvaux, De gradibus (wie Anm. 100), cap. 57, S. 128 –130.
103 Bernhard von Clairvaux, De gradibus (wie Anm. 100), cap. 4 f., S. 50 – 52.
104 Bernhard von Clairvaux, De gradibus (wie Anm. 100), cap. 5, S. 50, Z. 24; S. 52, Z. 3 f.: Denique sicut
finis legis Christus, sic perfectio humilitatis cognitio veritatis.
105 Bernhard von Clairvaux, De gradibus (wie Anm. 100), cap. 5, S. 50, Z. 22– S. 52, Z. 6; cap. 19, S. 74.
106 Bernhard von Clairvaux, De consideratione (wie Anm. 61), S. 625 – 827.
107 Bernhard von Clairvaux, De consideratione (wie Anm. 61), lib. II, cap. 5, S. 414, Z. 7 f.: consideratio
autem intensa ad vestigandum cogitatio vel intensio animi vestigantis verum.
 
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