150 | Christina Lutter
hinaus weisenden geistlichen Lebensformen sichtbar machen. Entscheidend ist im
Kontext einer Reform mit universalem Anspruch nicht zuletzt ein Klima der spirituellen
und pastoralen Professionalisierung, in dem Mönche wie Kleriker im Rahmen
einer »Optimierungsoffensive« (Weinfurter) für die Heilschancen sowohl des
individuellen Seelenheils als auch der Gemeinschaft aller Christen tätig wurden. ¹⁵
Richards vornehmste Aufgabe der imitatio Christi in diesem umfassenden Sinn
macht es ihm sowohl theoretisch wie praktisch unmöglich, sein Tun auf den Rahmen
koinobitischer Tugenden zu beschränken. Diese sind zwar ein wichtiger Teil
seines Selbstverständnisses; seine gesamte Laufbahn mit Stationen an der Kathedralschule
von Reims über sein Abbatiat bis zur Entscheidung für ein Leben als Eremit
in der Nähe von Remiremont aber zeigt, dass imitatio Christi für den »religiösen
Virtuosen«, als den Steven Vanderputten Richard von St. Vanne idealtypisch vorstellt,
weit mehr impliziert als die Leitung einer monastischen Gemeinschaft. Letztlich
transzendieren er und seinesgleichen die Grenzen zwischen Kloster und Welt,
partizipieren an beiden und verändern sie gerade durch diese Grenzüberschreitung.
Dafür aber muss ihre spirituelle Virtuosität derartig ausgeprägt sein, dass sie ohne
Gefahr für ihre eigenen Heilschancen auf die Regelmäßigkeit des Klosterlebens mit
seiner gemeinsamen asketischen Praxis zumindest temporär verzichten können.
Die spirituelle Selbstperfektionierung, das Wachsen über die Grenzen des eigenen
Selbst hinaus findet seine Entsprechung im Verlassen des monastischen Raums zur
Heilsvermittlung in der Welt, die so ihrerseits Teil der spirituellen Perfektionierung
wird. ¹⁶ Umgekehrt werden an den Biographien der herausragenden Vertreter
des Reformkreises um Richard aber auch die fließenden Übergänge nicht allein
zwischen klerikalen und koinobitischen Lebensformen, sondern auch – gleichsam
komplementär – jene zwischen Formen der monastischen und der eremitischen Askese
sichtbar. Auch das Modell des totalen Rückzugs aus der Welt zur persönlichen
spirituellen Perfektion des Leidens in der Nachfolge Christi ist ein maßgeblicher
Bestandteil der im Reformkreis um Richard diskutierten Modelle. ¹⁷
Solche Formen der Perfektionierung sind selbstverständlich ein Elitenprogramm,
das nicht jedem geistlichen Menschen zumutbar ist – das thematisieren Richard und
seinesgleichen auch selbst. Ebenso wird von den früh- und hochmittelalterlichen
15 Vgl. Weinfurter, Innovation (wie Anm. 8), S. 299 –304, der Begriff auf S. 300.
16 Vgl. den Beitrag von Steven Vanderputten in diesem Band, besonders S. 112–115.
17 Zur wachsenden Vielschichtigkeit und Heterogenität religiöser Lebensmodelle und der zeitgenössischen
Auseinandersetzung mit dem eremitischen Lebensmodell aus zeitgenössischer kanonistischer Perspektive
vgl. Ernst-Dieter Hehl, Innovatio/Renovatio. Prozesse von Abstrahierung und Differenzierung im
12. Jahrhundert, in: Innovation in Klöstern und Orden des Hohen Mittelalters. Aspekte und Pragmatik
eines Begriffs, hg. von Mirko Breitenstein/Stefan Burkhardt/Julia Dücker (Vita regularis. Abhandlungen
48), Berlin 2012, S. 21–38, hier S. 25.
hinaus weisenden geistlichen Lebensformen sichtbar machen. Entscheidend ist im
Kontext einer Reform mit universalem Anspruch nicht zuletzt ein Klima der spirituellen
und pastoralen Professionalisierung, in dem Mönche wie Kleriker im Rahmen
einer »Optimierungsoffensive« (Weinfurter) für die Heilschancen sowohl des
individuellen Seelenheils als auch der Gemeinschaft aller Christen tätig wurden. ¹⁵
Richards vornehmste Aufgabe der imitatio Christi in diesem umfassenden Sinn
macht es ihm sowohl theoretisch wie praktisch unmöglich, sein Tun auf den Rahmen
koinobitischer Tugenden zu beschränken. Diese sind zwar ein wichtiger Teil
seines Selbstverständnisses; seine gesamte Laufbahn mit Stationen an der Kathedralschule
von Reims über sein Abbatiat bis zur Entscheidung für ein Leben als Eremit
in der Nähe von Remiremont aber zeigt, dass imitatio Christi für den »religiösen
Virtuosen«, als den Steven Vanderputten Richard von St. Vanne idealtypisch vorstellt,
weit mehr impliziert als die Leitung einer monastischen Gemeinschaft. Letztlich
transzendieren er und seinesgleichen die Grenzen zwischen Kloster und Welt,
partizipieren an beiden und verändern sie gerade durch diese Grenzüberschreitung.
Dafür aber muss ihre spirituelle Virtuosität derartig ausgeprägt sein, dass sie ohne
Gefahr für ihre eigenen Heilschancen auf die Regelmäßigkeit des Klosterlebens mit
seiner gemeinsamen asketischen Praxis zumindest temporär verzichten können.
Die spirituelle Selbstperfektionierung, das Wachsen über die Grenzen des eigenen
Selbst hinaus findet seine Entsprechung im Verlassen des monastischen Raums zur
Heilsvermittlung in der Welt, die so ihrerseits Teil der spirituellen Perfektionierung
wird. ¹⁶ Umgekehrt werden an den Biographien der herausragenden Vertreter
des Reformkreises um Richard aber auch die fließenden Übergänge nicht allein
zwischen klerikalen und koinobitischen Lebensformen, sondern auch – gleichsam
komplementär – jene zwischen Formen der monastischen und der eremitischen Askese
sichtbar. Auch das Modell des totalen Rückzugs aus der Welt zur persönlichen
spirituellen Perfektion des Leidens in der Nachfolge Christi ist ein maßgeblicher
Bestandteil der im Reformkreis um Richard diskutierten Modelle. ¹⁷
Solche Formen der Perfektionierung sind selbstverständlich ein Elitenprogramm,
das nicht jedem geistlichen Menschen zumutbar ist – das thematisieren Richard und
seinesgleichen auch selbst. Ebenso wird von den früh- und hochmittelalterlichen
15 Vgl. Weinfurter, Innovation (wie Anm. 8), S. 299 –304, der Begriff auf S. 300.
16 Vgl. den Beitrag von Steven Vanderputten in diesem Band, besonders S. 112–115.
17 Zur wachsenden Vielschichtigkeit und Heterogenität religiöser Lebensmodelle und der zeitgenössischen
Auseinandersetzung mit dem eremitischen Lebensmodell aus zeitgenössischer kanonistischer Perspektive
vgl. Ernst-Dieter Hehl, Innovatio/Renovatio. Prozesse von Abstrahierung und Differenzierung im
12. Jahrhundert, in: Innovation in Klöstern und Orden des Hohen Mittelalters. Aspekte und Pragmatik
eines Begriffs, hg. von Mirko Breitenstein/Stefan Burkhardt/Julia Dücker (Vita regularis. Abhandlungen
48), Berlin 2012, S. 21–38, hier S. 25.