Klöster im Hochmittelalter

196 | Jens Röhrkasten
erstrecke sich auch auf andere Bereiche, die allerdings von unterschiedlicher Bedeutung
seien, quod quoad quaedam ipsorum ex vi verbi transgressio est mortalis,
et quoad quaedam alia non. ⁷³ Auch diese päpstliche Intervention führte nicht zu
einem Ausgleich zwischen den verfeindeten Gruppierungen im Orden oder zu einem
höheren Grad an Konformität, sodass im Pontifikat Johannes’ XXII. versucht
wurde, die Gegensätze gewaltsam zu lösen. ⁷⁴
Zwischen den Dominikanern, einer Klerikervereinigung, deren Konstitutionen
die uniformitas der Gemeinschaft gleich mehrfach forderten, ⁷⁵ und den Franziskanern,
einer Laienbewegung, die den Gedanken der Einheit und Einheitlichkeit in
den grundlegenden normativen Quellen nicht erwähnt und deren Brüder zum Teil
noch lange in Eremitorien lebten, bestanden wichtige grundsätzliche Unterschiede,
die über die bekannten unterschiedlichen Auslegungen des Armutsideals hinausgingen:
Erstens eine klare Orientierung auf das Propositum hin bei den Predigern
gegen die Notwendigkeit einer Definition der angestrebten Lebensweise bei den
Minoriten; zweitens die Vermeidung des preceptum bei den Dominikanern gegen
die Notwendigkeit der präzisen Unterscheidung zwischen preceptum und weniger
verbindlichen Aussagen bei den Franziskanern sowie drittens eine klare Hierarchie
des Gehorsams bei den Dominikanern gegen ein sehr differenziertes Wechselspiel
von Pflichten und Verantwortlichkeiten bei den Franziskanern. Einheit mit dem
Ziel der Funktionalität wird z. B. im Regelkommentar des Humbert von Romans
gefordert, denn Uneinigkeit führe zum Verlust der Effektivität wie bei Seefahrern
auf einem Schiff, die verschiedene Häfen ansteuern wollten. ⁷⁶ Auch in einer anderen
Schrift des fünften Generalpriors der Dominikaner – De officiis ordinis – geht
es um Effizienz durch klar definierte Aufgabenbereiche: nullus alterius occuparet
officium, nec suum negligeret: et sic ordinatius et completius fierent universa. ⁷⁷
Demgegenüber geht es bei der conformitas mentium der ersten Gefolgsleute des
Franziskus, von der Thomas von Celano in der Vita prima spricht, um eine Einheit
73 Corpus Iuris Canonici (wie Anm. 30), Bd. 2, Sp. 1194.
74 Moorman, A History (wie Anm. 5), S. 313 –319; Nimmo, Reform and Division (wie Anm. 67), S. 134 –
138, 190 –201. Neuere Literatur: Patrick Nold, Pope John XXII and his Franciscan Cardinal. Bertrand
de la Tour and the Apostolic Poverty Controversy, Oxford 2003; Susanne Conrad, Gehorsam und
Widerstand im Franziskanerorden. Bertrand de la Tour und die rebelles im Jahr 1315, in: Oboedientia.
Zu Formen und Grenzen von Macht und Unterordnung im mittelalterlichen Religiosentum, hg. von
Sebastien Barret/Gert Melville (Vita regularis. Abhandlungen 27), Münster 2005, S. 409 – 422.
75 Thomas, De oudste Constituties (wie Anm. 6), S. 311 f.: uniformes in observantia canonice religionis; ut
unitati et paci totius ordinis provideamus, uniformitas exterius servata in moribus.
76 B. Humberti de Romanis Opera de vita regulari, 2 Bde., hg. von Joachim Joseph Berthier, Turin 1956,
Bd. 1, S. 71: homines qui tendunt ad diversa solent interdum diversificari in actionibus et voluntatibus,
sicut si existentes in navi tenderent ad diversos portus.
77 B. Humberti de Romanis Opera (wie Anm. 76), Bd. 2, S. 179.