204 | Hans-Joachim Schmidt
sicherstellte, dass die Versuchungen der Welt dem Einzelnen erspart blieben oder
zumindest erspart bleiben sollten.
Die institutionelle Perfektionierung ist gefährlich für die – wie Frau Signori sich
ausdrückte – ursprüngliche Spiritualität. Deswegen auch die von ihr deutlich beschriebene
Zwanghaftigkeit einer allein auf Regeltreue abzielenden Reform. Ohne
die durch die Institutionalisierung herbeigeführte Gleichartigkeit der Lebensformen
kann aber klösterliches Leben nicht verwirklicht werden.
Freiwilligkeit und Zwang sind Teile der monastischen Institutionalität, aber
beide sind nicht widerspruchsfrei miteinander zu kombinieren, auch nicht durch
die Selbstverpflichtung jedes einzelnen Mönches und jeder einzelnen Nonne, d.h.
durch die Profess. Denn die Selbstverpflichtung konnte nicht individuell gestaltet,
gar ausgehandelt werden. Sie war prinzipiell starr. Bestrebungen, Normen zu
ändern, galten bei den Religiosen mehr als bei anderen Personen als verwerfliche
Bestrebungen, deren Sanktionierung religiös begründet wurde. Aber zugleich war
die persönliche Berufung Voraussetzung für die monastische Existenz. Unterwerfung
und Auflehnung, Gehorsam unter die Autoritäten und Erfindungsreichtum im
asketischen Virtuosentum, Flucht aus der Welt und Einwirkung auf sie, institutionelle
Exklusivität im Arkanum des Klosters und Nutzen für alle Gläubigen sind die
Dichotomien, denen Mönche und Nonnen nicht entweichen konnten.
Ich muss meine Überlegungen also mit nicht aufgelösten Dilemmata schließen.
Als Kommentator sei mir dies gestattet. Eine concordantia discordantium wird
vielleicht die weitere Forschung erbringen können. Das vorläufige Fazit zeigt demgegenüber
eine widersprüchliche Fülle von unterschiedlichen Strategien und Resultaten,
die in Klöstern und Orden erprobt, verworfen, erneuert und verwirklicht
wurden, sodass die Vielzahl von Lebensentwürfen und Regulierungen nicht allein
den unterschiedlichen Aufgaben geschuldet waren, sondern auch auf den tastenden
Versuchen einer Nachahmnung Christi beruhten. Die Gefahr, dass diese Vielzahl
eine Konfusion erzeugen könnte, wurde durchaus wahrgenommen und im vierten
Laterankonzil von 1215 deutlich benannt. ⁶ Durch päpstliche Interventionen, konziliare
Gesetze und kirchenrechtliche Bestimmungen, ⁷ welche vor allem seit dem 12.
und 13. Jahrhundert Wirkung zeigten, war eine neue Stufe der Institutionalisierung
erreicht, die die kloster- und ordensinternen Normen allgemeinen kirchlichen Bestimmungen
unterwarfen, sodass eine Spannung zwischen beiden entstand, die die
6 Constitutiones concilii quarti Lateranensis una cum commentariis glossatorum, hg. von Antonio García
y García (Monumenta iuris canonici. Series A: Corpus glossatorum 2), Vatikanstadt 1981, S. 62.
7 Gert Melville, Ordensstatuten und allgemeines Kirchenrecht, in: Proceedings of the 9 ᵗʰ International
Congress of Medieval Canon Law (Monumenta iuris canonici. Series C 10), hg. von Peter Landau, Vatikanstadt
1997, S. 691–712.
sicherstellte, dass die Versuchungen der Welt dem Einzelnen erspart blieben oder
zumindest erspart bleiben sollten.
Die institutionelle Perfektionierung ist gefährlich für die – wie Frau Signori sich
ausdrückte – ursprüngliche Spiritualität. Deswegen auch die von ihr deutlich beschriebene
Zwanghaftigkeit einer allein auf Regeltreue abzielenden Reform. Ohne
die durch die Institutionalisierung herbeigeführte Gleichartigkeit der Lebensformen
kann aber klösterliches Leben nicht verwirklicht werden.
Freiwilligkeit und Zwang sind Teile der monastischen Institutionalität, aber
beide sind nicht widerspruchsfrei miteinander zu kombinieren, auch nicht durch
die Selbstverpflichtung jedes einzelnen Mönches und jeder einzelnen Nonne, d.h.
durch die Profess. Denn die Selbstverpflichtung konnte nicht individuell gestaltet,
gar ausgehandelt werden. Sie war prinzipiell starr. Bestrebungen, Normen zu
ändern, galten bei den Religiosen mehr als bei anderen Personen als verwerfliche
Bestrebungen, deren Sanktionierung religiös begründet wurde. Aber zugleich war
die persönliche Berufung Voraussetzung für die monastische Existenz. Unterwerfung
und Auflehnung, Gehorsam unter die Autoritäten und Erfindungsreichtum im
asketischen Virtuosentum, Flucht aus der Welt und Einwirkung auf sie, institutionelle
Exklusivität im Arkanum des Klosters und Nutzen für alle Gläubigen sind die
Dichotomien, denen Mönche und Nonnen nicht entweichen konnten.
Ich muss meine Überlegungen also mit nicht aufgelösten Dilemmata schließen.
Als Kommentator sei mir dies gestattet. Eine concordantia discordantium wird
vielleicht die weitere Forschung erbringen können. Das vorläufige Fazit zeigt demgegenüber
eine widersprüchliche Fülle von unterschiedlichen Strategien und Resultaten,
die in Klöstern und Orden erprobt, verworfen, erneuert und verwirklicht
wurden, sodass die Vielzahl von Lebensentwürfen und Regulierungen nicht allein
den unterschiedlichen Aufgaben geschuldet waren, sondern auch auf den tastenden
Versuchen einer Nachahmnung Christi beruhten. Die Gefahr, dass diese Vielzahl
eine Konfusion erzeugen könnte, wurde durchaus wahrgenommen und im vierten
Laterankonzil von 1215 deutlich benannt. ⁶ Durch päpstliche Interventionen, konziliare
Gesetze und kirchenrechtliche Bestimmungen, ⁷ welche vor allem seit dem 12.
und 13. Jahrhundert Wirkung zeigten, war eine neue Stufe der Institutionalisierung
erreicht, die die kloster- und ordensinternen Normen allgemeinen kirchlichen Bestimmungen
unterwarfen, sodass eine Spannung zwischen beiden entstand, die die
6 Constitutiones concilii quarti Lateranensis una cum commentariis glossatorum, hg. von Antonio García
y García (Monumenta iuris canonici. Series A: Corpus glossatorum 2), Vatikanstadt 1981, S. 62.
7 Gert Melville, Ordensstatuten und allgemeines Kirchenrecht, in: Proceedings of the 9 ᵗʰ International
Congress of Medieval Canon Law (Monumenta iuris canonici. Series C 10), hg. von Peter Landau, Vatikanstadt
1997, S. 691–712.