218 | Sita Steckel
dürften bei seiner Übersiedlung nach Süddeutschland also auf vergleichbare Interessen
gestoßen sein. ²⁴
Sein Elucidarium, ein umfassender Lehrdialog zu theologischen Fragen, erfreute
sich höchster Popularität und wurde noch im 12. Jahrhundert übersetzt, im Verlauf
der Jahrhunderte sogar in mehrere Volkssprachen. Was war der Hintergrund dieses
Erfolges? In sehr einfachem Latein werden im Elucidarium in Form eines Lehrer-
Schüler-Dialogs theologische Grundfragen in einer allgemein verständlichen Weise
erläutert. In drei grob heilsgeschichtlich geordneten Büchern De Christo, de Ecclesia,
de futura vita ²⁵ werden zunächst die Beschaffenheit Gottes, Menschwerdung
Christi und Erlösung besprochen, dann werden Sünden und Heilschancen
des Menschen bzw. verschiedener Statusgruppen, schließlich die letzten Dinge, Tod
und Jenseits behandelt. Das Elucidarium reduziert die komplexen Materien jedoch
auf einprägsame Happen und bietet zu den vom Schüler gestellten Fragen einfache,
leicht vermittelbare und memorierbare Antworten.
Mit dieser Ausrichtung illustriert das Elucidarium, dass im Zuge verschiedener
Reformbewegungen des 11. Jahrhunderts auch weniger Gebildete ein gesteigertes
Interesse an christlichen Lehren über Gott und die Welt entwickelten. ²⁶ Einen Kern
des Werks bildet beispielsweise das zweite Buch des Elucidarium mit ausführlichen,
für die Seelsorge nutzbaren Darlegungen zu Sünde, Buße und Heilserwartung. Der
dritte Teil mit einer überaus plastischen, wie Marcia Colish akzentuiert, geradezu
»synästhetisch« ²⁷ farbigen Darstellung von letzten Dingen, Weltende und Weltgericht
illustriert einen Kontext der intensivierten Religiosität und Heilssuche. Die
Suche nach Gottesnähe erweist sich ganz unmittelbar als Motivation der Produktion
und Rezeption von Wissen.
24 In anderen Regionen und bei stärkerem Bezug auf das gelehrte Recht im Zusammenhang mit der Kirchenreform
wären hier zusätzliche Entwicklunslinien einzubeziehen. Sie können hier nicht einbezogen
werden, vgl. aber exemplarisch für jüngere Forschungen Florian Hartmann, Ars dictaminis. Briefsteller
und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts (Mittelalter-Forschungen
44), Ostfildern 2013; Kriston R. Rennie, Law and Practice in the Age of Reform. The
Legatine Work of Hugh of Die (1073 –1106) (Medieval Church Studies 17), Turnhout 2010; Christof
Rolker, Canon law and the letters of Ivo of Chartres (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought.
4 ᵗʰ series 76), Cambridge/New York 2009; Chris Wickham, Courts and conflict in Twelfth-Century
Tuscany, Oxford 2003.
25 Vgl. zur Einteilung die Zitate in Gottschall, Das »Elucidarium« (wie Anm. 19), S. 9.
26 Vgl. Johannes Laudage, Priesterbild und Reformpapsttum im 11. Jahrhundert (Beihefte zum Archiv für
Kulturgeschichte 22), Köln/Wien 1984; Ders., Gregorianische Reform und Investiturstreit (Erträge der
Forschung 282), Darmstadt 1993; Wilfried Hartmann, Der Investiturstreit (Enzyklopädie Deutscher
Geschichte 21), München 1996, S. 79 – 83; Hans-Werner Goetz, Gott und die Welt. Religiöse Vorstellungen
des frühen und hohen Mittelalters, Bd. 1: Das Gottesbild (Orbis Mediaevalis. Vorstellungswelten
des Mittelalters 13), Berlin 2011, S. 241–252.
27 Vgl. Marcia L. Colish, Peter Lombard, 2 Bde. (Brill’s Studies in Intellectual History 41), Leiden/Boston
1994, hier Bd. 1, S. 40.
dürften bei seiner Übersiedlung nach Süddeutschland also auf vergleichbare Interessen
gestoßen sein. ²⁴
Sein Elucidarium, ein umfassender Lehrdialog zu theologischen Fragen, erfreute
sich höchster Popularität und wurde noch im 12. Jahrhundert übersetzt, im Verlauf
der Jahrhunderte sogar in mehrere Volkssprachen. Was war der Hintergrund dieses
Erfolges? In sehr einfachem Latein werden im Elucidarium in Form eines Lehrer-
Schüler-Dialogs theologische Grundfragen in einer allgemein verständlichen Weise
erläutert. In drei grob heilsgeschichtlich geordneten Büchern De Christo, de Ecclesia,
de futura vita ²⁵ werden zunächst die Beschaffenheit Gottes, Menschwerdung
Christi und Erlösung besprochen, dann werden Sünden und Heilschancen
des Menschen bzw. verschiedener Statusgruppen, schließlich die letzten Dinge, Tod
und Jenseits behandelt. Das Elucidarium reduziert die komplexen Materien jedoch
auf einprägsame Happen und bietet zu den vom Schüler gestellten Fragen einfache,
leicht vermittelbare und memorierbare Antworten.
Mit dieser Ausrichtung illustriert das Elucidarium, dass im Zuge verschiedener
Reformbewegungen des 11. Jahrhunderts auch weniger Gebildete ein gesteigertes
Interesse an christlichen Lehren über Gott und die Welt entwickelten. ²⁶ Einen Kern
des Werks bildet beispielsweise das zweite Buch des Elucidarium mit ausführlichen,
für die Seelsorge nutzbaren Darlegungen zu Sünde, Buße und Heilserwartung. Der
dritte Teil mit einer überaus plastischen, wie Marcia Colish akzentuiert, geradezu
»synästhetisch« ²⁷ farbigen Darstellung von letzten Dingen, Weltende und Weltgericht
illustriert einen Kontext der intensivierten Religiosität und Heilssuche. Die
Suche nach Gottesnähe erweist sich ganz unmittelbar als Motivation der Produktion
und Rezeption von Wissen.
24 In anderen Regionen und bei stärkerem Bezug auf das gelehrte Recht im Zusammenhang mit der Kirchenreform
wären hier zusätzliche Entwicklunslinien einzubeziehen. Sie können hier nicht einbezogen
werden, vgl. aber exemplarisch für jüngere Forschungen Florian Hartmann, Ars dictaminis. Briefsteller
und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts (Mittelalter-Forschungen
44), Ostfildern 2013; Kriston R. Rennie, Law and Practice in the Age of Reform. The
Legatine Work of Hugh of Die (1073 –1106) (Medieval Church Studies 17), Turnhout 2010; Christof
Rolker, Canon law and the letters of Ivo of Chartres (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought.
4 ᵗʰ series 76), Cambridge/New York 2009; Chris Wickham, Courts and conflict in Twelfth-Century
Tuscany, Oxford 2003.
25 Vgl. zur Einteilung die Zitate in Gottschall, Das »Elucidarium« (wie Anm. 19), S. 9.
26 Vgl. Johannes Laudage, Priesterbild und Reformpapsttum im 11. Jahrhundert (Beihefte zum Archiv für
Kulturgeschichte 22), Köln/Wien 1984; Ders., Gregorianische Reform und Investiturstreit (Erträge der
Forschung 282), Darmstadt 1993; Wilfried Hartmann, Der Investiturstreit (Enzyklopädie Deutscher
Geschichte 21), München 1996, S. 79 – 83; Hans-Werner Goetz, Gott und die Welt. Religiöse Vorstellungen
des frühen und hohen Mittelalters, Bd. 1: Das Gottesbild (Orbis Mediaevalis. Vorstellungswelten
des Mittelalters 13), Berlin 2011, S. 241–252.
27 Vgl. Marcia L. Colish, Peter Lombard, 2 Bde. (Brill’s Studies in Intellectual History 41), Leiden/Boston
1994, hier Bd. 1, S. 40.