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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Steckel, Sita: Deuten, Ordnen und Aneignen: Mechanismen der Innovation in der Erstellung hochmittelalterlicher Wissenskompendien
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0225
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224 | Sita Steckel
11. Jahrhunderts beteiligt wie exponierte Akteure aus religiösen Gemeinschaften.
Zudem sehen wir im 11. Jahrhundert und noch um 1100 nur ganz graduell Texte
entstehen, die praktisch oder konzeptuell gegeneinander abgegrenzte Nutzungskontexte
illustrieren. Zwar grenzten sich neue religiose Lebensformen nun sehr
deutlich von ihrer Umgebung ab und brachten teils neue Arten von Schriften hervor,
wie etwa Anselm von Canterburys Gebete oder die Schriften Wilhelms von
St. Thierry zur Kontemplation und Gottesliebe. ⁴³ Doch gelehrte Diskussion im
Rahmen kirchlicher oder klösterlicher Schulen und Gelehrtenzirkel, kontemplative
Meditation über die Gotteserkenntnis oder praktische Erläuterung der christlichen
Lehre vor Laien blieben zunächst noch eng verschränkte Anwendungsfälle
des Umgangs mit der schriftlichen Tradition. Auch unterschiedliche materiale
Gestaltungen der entsprechenden Texte lassen sich daher interessanterweise nur in
Ansätzen finden: Eine frühe Kopie des Elucidarium besitzt beispielsweise offenbar
von Honorius Augustodunensis selbst stammende genaueste Quellenangaben
und Verweise auf theoretische Diskussionen Anselms von Canterbury und anderer
Theologen, die Flint mit Fußnoten verglichen hat. ⁴⁴ Man konnte das Elucidarium
also als Ausgangsbasis für eine gelehrte Auseinandersetzung mit Textproblemen
verwenden. Spätere Kopisten konnten darauf aber anscheinend verzichten und ließen
die »Fußnoten« weg – wodurch der Text seinen Gebrauchscharakter veränderte.
Eine Differenzierung unterschiedlicher Nutzungen und Adressatenkreise stand
gewissermaßen latent im Raum, hatte aber noch wenig konkrete, an der Materialität
der Texte sichtbare Folgen.
Nicht nur im 11. Jahrhundert, sondern auch zwischen c. 1100 und c. 1140 bleibt
diese enge Verflechtung verschiedener sozialer Räume und geographischer Regionen
in der gelehrten Wissensproduktion sichtbar. Doch die wachsende Nutzungsorientierung
gelehrter Wissensvermittlung, die bereits bei Honorius Augustodunensis
auffiel, wirkte bald auf die Institutionalisierung der Ausbildung zur Seelsorge zurück.
Sie intensivierte sich nicht nur in den neuen Konventen der reformorientierten
Klöster und Regularkanonikerkonvente, sondern auch in einigen der bereits
länger bestehenden Kathedralschulen. Schon seit dem Frühmittelalter hatten einige
dieser Schulen typischerweise Latein, das Wissen der Artes liberales mit Lese-,
Schreib- und Rechenfähigkeit, darüber hinaus auch für den kirchlichen und politischen
Alltag nützliche Rhetorik und Handlungswissen sowie zunehmend Werte
43 Vgl. zu Anselm Southern, Saint Anselm (wie Anm. 20), S. 91–108; zu Wilhelm von St. Thierry beispielhaft
Guillelmus a Sancto Theodorico, Opera Omnia, Bd. 5: Opuscula adversus Petrum Abaelardum et De
fide, hg. von Paul Verdeyen (Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis 89A), Turnhout 2007.
44 Vgl. Flint, The »Elucidarius« (wie Anm. 19), S. 187.
 
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