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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Steckel, Sita: Deuten, Ordnen und Aneignen: Mechanismen der Innovation in der Erstellung hochmittelalterlicher Wissenskompendien
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0241
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240 | Sita Steckel
Im Spannungsfeld dieser einander teils entgegenlaufenden Gebrauchskontexte
und Ordnungsprinzipien entfaltet sich in den folgenden Generationen eine Vielzahl
von wissenorganisierenden Texten. Ihre Spannbreite reicht von zunehmend
spezialisierten Texten in Form von Kommentaren, von Behandlungen von Einzeldisziplinen
und schließlich von alphabetischen Repertorien ⁹⁷ bis zum enzyklopädischen
Kompendium, das typischerweise als Bibliotheksersatz für eine spezifische
Gruppe gedacht wurde und eine für diese Gruppe intendierte, (welt-)deutende
Ordnung vorgab. Innerhalb des vorhandenen Spektrums lassen sich bestimmte
Anordnungstypen ausmachen – wie Meier herausarbeitet, sind der eher von Welt
und Natur ausgehende ordo rerum, der eher von wissenschaftstheorischen Gesichtspunkten
beeinflusste ordo artium oder schließlich alphabetische Ordnungen
anzutreffen. ⁹⁸
Erst unter diesen Bedingungen ist nun – vor allem seit dem zweiten Drittel des
12. Jahrhunderts – eine Spezialisierung festzustellen, die schulisch, klösterlich oder
beispielweise höfisch orientierte Wissenskompendien auseinandertreten ließ. Doch
erweist es sich schnell als müßig, Anordnungstypen einem einzelnen »schulischen«
oder »klösterlichen« Kontext zuordnen zu wollen. Gelehrte Wissensentwürfe aus
Klöstern, aus Regularkanonikerkonventen verschiedener Observanzen oder aus
Hoch- oder Stiftskirchen und gar »freien« Schulen wurden offensichtlich nicht
entscheidend von solch allgemeinen institutionellen Zugehörigkeiten geprägt. Vielmehr
erweist sich im hier betrachteten Bereich neben individuellen Profilbildungen
verschiedener Gelehrter die Verknüpfung klösterlicher, kanonikaler, schulischer,
städtischer und höfischer Kommunikationsnetzwerke sowie religiöser, pastoraler
und didaktischer Intentionen als entscheidend. Fünf Beispiele seien knapp angesprochen.
Ein schulischer, stark spezialisierter Gebrauchskontext prägt etwa eines der
wichtigsten hochmittelalterlichen Wissenskompendien, die Sentenzen des Petrus
Lombardus († 1160), der als Kanon der Kathedrale von Paris und Schulgelehrter
keinem klösterlichen Kontext zuzurechnen ist. Doch steht sein Werk durchaus
stark in der pastoral ausgerichteten Tradition der früheren Sentenzensammlungen,
die im Paris der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts und darüber hinaus gepflegt
wurde. Wie auch schon Honorius Augustodunensis entwickelten sie ihre Themen
meist entlang eines ordo rerum von Gott zum Menschen. Auch Petrus Lombardus
ordnet christliche Lehrfragen auf diese Weise. Gegenüber der heilsgeschichtlichen
97 Vgl. zu ihrer Bedeutung Mary Rouse/Richard Hunter Rouse, Statim Invenire: Schools, Preachers, and
New Attitudes to the Page, in: Renaissance and Renewal in the Twelfth Century, hg. von Robert Louis
Benson/Giles Constable, Cambridge, Ma. 1982, S. 201–225.
98 Vgl. Meier, Enzyklopädischer Ordo (wie Anm. 17), S. 512– 519.
 
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