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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Steckel, Sita: Deuten, Ordnen und Aneignen: Mechanismen der Innovation in der Erstellung hochmittelalterlicher Wissenskompendien
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0249
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248 | Sita Steckel
kenntnissstreben gelenkt und entwickelten eigene Konzepte von Erkenntnis, Erbauung
und Ausbildung. ¹²⁴ Auf einer strukturellen Ebene macht sich die Dynamik
religiöser Erneuerung und Reform im 11. und 12. Jahrhundert jedoch ebenfalls
bemerkbar, und dies erscheint im vorliegenden Kontext weit bedeutender: Nicht
nur die kommunikative Verdichtung des sozioökonomisch zusammenwachsenden
euro-mediterranen Raums, sondern auch das steigende Interesse breiterer laikaler
Kreise an Religion produzierten einen steigenden Bedarf an religiösem Wissen.
Nicht nur abstrakter amor sciendi und nicht nur das Streben nach Karrieren in
Kirche, Hof und Stadt wurden historisch wirksam, wie dies Grundmann und Classen
akzentuierten. ¹²⁵ Auch die Intensivierung der Seelsorge für die Bevölkerung
und der Schub der Reform und Neueinrichtung von Klöstern und Regularkanonikerkonventen
im 11. und 12. Jahrhundert wirkten sich auf mehreren Ebenen auf
Produktion und Rezeption gelehrten Wissens aus.
Nicht nur traten Gelehrte aus klösterlichen Kontexten fortgesetzt mit neuen
gelehrten Schriften und didaktischen Entwürfen hervor, wobei oftmals das frühmittelalterliche
klösterliche Erbe als kulturelle Ressource fruchtbar gemacht werden
konnte. Klösterliche Verbandsbildungen und reformorientierte Netzwerke wirkten
auch als Verbreitungswege für wissensorganisierende Literatur und neue Konzepte
der Ausbildung. Schließlich, hier am wichtigsten, traten die Insassen von Klöstern
und Regularkanonikern sowohl für ihren eigenen Bedarf wie als Vermittler an
breitere, laikale Kreise als »Konsumenten« neuer Wissenskompendien hervor. Im
Zusammenspiel dieser drei Rollen, als Produzenten, Multiplikatoren und Konsumenten
hochmittelalterlicher Wissenssammlungen, erweisen sich ordensgebundene
Gelehrte als wichtiger, bislang aber nur marginal einbezogener Wirkfaktor auf institutionelle
Wachstumsprozesse. Gerade der Prozess der gegenseitigen Inanspruchnahme
zwischen Produzent/innen und Rezipient/innen neuer gelehrter Entwürfe
in Klöstern, Schulen, Kirchen und reformierten Konventen bewirkte über längere
Zeiträume aber womöglich eine erhebliche Ausweitung des Leser- und Rezipientenkreises
für religiöses Wissen – ein Faktor hochmittelalterlicher Transformation,
den jüngst etwa John van Engen hervorgehoben hat. ¹²⁶
3. Insgesamt verweist die Entstehung von übergreifenden oder enzyklopädischen
Wissenskompendien religiösen Zuschnitts daher auf chronologische und regionale
Zusammenhänge, die bislang meist getrennt voneinander untersucht wurden. Über
124 Vgl. so etwa nachdrücklich Diehl, Grace of Learning (wie Anm. 73); Meier, Ruperts von Deutz Befreiung
(wie Anm. 73), für Rupert von Deutz.
125 Vgl. oben bei Anm. 12.
126 Vgl. John van Engen, Reading, Reason and Revolt in a World of Custom, in: European Transformations:
The Long Twelfth Century, hg. von Thomas F. X. Noble/John Van Engen (Notre Dame
Conferences in Medieval Studies), Notre Dame, Ind. 2012, S. 17– 44.
 
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