Pragmatische Visionäre? | 269
Gemeinschaften, ⁷⁶ dann aber auch der Christenmenschen allgemein, die seit dem
13. Jahrhundert die Entstehung von Sittenlehren aus weltlicher Feder inspirierten
und so den Grundstock für ein säkulares und bürgerliches Wertesystem in weiten
Teilen Europas legten. ⁷⁷
Übertragen auf die Mendikanten und ihren Einfluss auf die westeuropäische
Christenheit im 13. Jahrhundert, könnten die Fragen lauten: Hatte das mendikantische
Wirken konkrete Auswirkungen auf die Welt, und wenn ja, welche? Anders
gefragt: Waren die Mendikanten sozialrevolutionär, sozialkonservativ oder irgendetwas
dazwischen? In der historischen Forschung finden sich Argumente sowohl
für die dauerhafte Wirksamkeit der Bettelmönche als auch dagegen. ⁷⁸ Mit guten
Gründen wurde beispielsweise auf die friedensstiftende Wirkung der Bettelmönche
in den spätmittelalterlichen Städten nördlich und südlich der Alpen hingewiesen. ⁷⁹
Allerdings entwickelte sich das westliche Europa im 13. Jahrhundert keineswegs zu
einer Region des Friedens. Im Gegenteil, gerade im letzten Jahrzehnt des »mendikantischen
Jahrhunderts«, nachdem die Frucht mendikantischer Pastorale genug
Zeit gehabt hatte, sich in den Herzen der Laien zu entfalten, scheint eine Periode
besonderer Kriegstätigkeit zu beginnen. ⁸⁰ Hans Baron und andere betrachteten die
franziskanische Armutsvorstellung als ein wichtiges Fundament des intellektuellen
Lebens des 14. Jahrhunderts. ⁸¹ Historiker, die einem Bettelorden angehören oder
nahestehen, tendieren in der Regel dazu, die Bedeutsamkeit mendikantischen Denkens
und Handels sehr hoch zu veranschlagen. Aus dieser Perspektive ist die gesamte
Sozial- und Kulturgeschichte des spätmittelalterlichen Europa stark geprägt von
76 Jonathan Nicholls, The matter of courtesy. Medieval courtesy books and the Gawain-poet, Woodbridge
1985.
77 Dilwyn Know, Disciplina. The Monastic and Clerical Origins of European Civility, in: Renaissance
Society and Culture. Essays in Honor of Eugene F. Rice, Jr., hg. von John Monfasani/Ronald G. Musto,
New York 1991, S. 107–135; ders., Erasmus’ De Civilitate and the Religious Origins of Civility in
Protestant Europa, in: Archiv für Reformationsgeschichte 86, 1995, S. 7–55.
78 Clifford Hugh Lawrence, The Friars. The Impact of the Early Mendicant Movement on Western Society
(The medieval world), London 1994 (verb. Taschenbuchausgabe London 2013).
79 Daniel A. Brown, The Alleluia. A thirteenth century peace movement, in: Archivum franciscanum
historicum 81, 1988, S. 3 –16; Dieter Berg, Gesellschaftspolitische Implikationen der Vita Minorum,
insbesondere des franziskanischen Friedensgedankens, im 13. Jahrhundert, in: Renovatio et reformatio.
Wider dem Bild vom »finsteren« Mittelalter. Festschrift für Ludwig Hödl zum 60. Geburtstag, hg. von
Manfred Gerwing, Münster 1985, S. 181–194; Gudrun Wittek, Franziskanische Friedensvorstellungen
und Stadtfrieden. Möglichkeiten und Grenzen franziskanischen Friedewirkens in mitteldeutschen Städten
im Spätmittelalter, in: Bettelorden und Stadt. Bettelorden und städtisches Leben im Mittelalter und in der
Neuzeit, hg. von Dieter Berg (Saxonia Franciscana 1), Werl 1992, S. 153 –178.
80 John Munro, The »industrial crisis« of the English textile towns, c.1290 – c.1330, in: Thirteenth Century
England. Proceedings of the Durham Conference 1997, hg. von Michael Charles Prestwich, Woodbridge
1999, S. 103 –142.
81 Hans Baron, Franciscan Poverty and Civic Wealth in the Shaping of Trecento Humanistic Thought:
The Role of Petrarch, in: ders., In search of Florentine civic humanism. Essays on the transition from
medieval to modern thought, 2 Bde., Princeton 1988, Bd. 1, S. 158 –190.
Gemeinschaften, ⁷⁶ dann aber auch der Christenmenschen allgemein, die seit dem
13. Jahrhundert die Entstehung von Sittenlehren aus weltlicher Feder inspirierten
und so den Grundstock für ein säkulares und bürgerliches Wertesystem in weiten
Teilen Europas legten. ⁷⁷
Übertragen auf die Mendikanten und ihren Einfluss auf die westeuropäische
Christenheit im 13. Jahrhundert, könnten die Fragen lauten: Hatte das mendikantische
Wirken konkrete Auswirkungen auf die Welt, und wenn ja, welche? Anders
gefragt: Waren die Mendikanten sozialrevolutionär, sozialkonservativ oder irgendetwas
dazwischen? In der historischen Forschung finden sich Argumente sowohl
für die dauerhafte Wirksamkeit der Bettelmönche als auch dagegen. ⁷⁸ Mit guten
Gründen wurde beispielsweise auf die friedensstiftende Wirkung der Bettelmönche
in den spätmittelalterlichen Städten nördlich und südlich der Alpen hingewiesen. ⁷⁹
Allerdings entwickelte sich das westliche Europa im 13. Jahrhundert keineswegs zu
einer Region des Friedens. Im Gegenteil, gerade im letzten Jahrzehnt des »mendikantischen
Jahrhunderts«, nachdem die Frucht mendikantischer Pastorale genug
Zeit gehabt hatte, sich in den Herzen der Laien zu entfalten, scheint eine Periode
besonderer Kriegstätigkeit zu beginnen. ⁸⁰ Hans Baron und andere betrachteten die
franziskanische Armutsvorstellung als ein wichtiges Fundament des intellektuellen
Lebens des 14. Jahrhunderts. ⁸¹ Historiker, die einem Bettelorden angehören oder
nahestehen, tendieren in der Regel dazu, die Bedeutsamkeit mendikantischen Denkens
und Handels sehr hoch zu veranschlagen. Aus dieser Perspektive ist die gesamte
Sozial- und Kulturgeschichte des spätmittelalterlichen Europa stark geprägt von
76 Jonathan Nicholls, The matter of courtesy. Medieval courtesy books and the Gawain-poet, Woodbridge
1985.
77 Dilwyn Know, Disciplina. The Monastic and Clerical Origins of European Civility, in: Renaissance
Society and Culture. Essays in Honor of Eugene F. Rice, Jr., hg. von John Monfasani/Ronald G. Musto,
New York 1991, S. 107–135; ders., Erasmus’ De Civilitate and the Religious Origins of Civility in
Protestant Europa, in: Archiv für Reformationsgeschichte 86, 1995, S. 7–55.
78 Clifford Hugh Lawrence, The Friars. The Impact of the Early Mendicant Movement on Western Society
(The medieval world), London 1994 (verb. Taschenbuchausgabe London 2013).
79 Daniel A. Brown, The Alleluia. A thirteenth century peace movement, in: Archivum franciscanum
historicum 81, 1988, S. 3 –16; Dieter Berg, Gesellschaftspolitische Implikationen der Vita Minorum,
insbesondere des franziskanischen Friedensgedankens, im 13. Jahrhundert, in: Renovatio et reformatio.
Wider dem Bild vom »finsteren« Mittelalter. Festschrift für Ludwig Hödl zum 60. Geburtstag, hg. von
Manfred Gerwing, Münster 1985, S. 181–194; Gudrun Wittek, Franziskanische Friedensvorstellungen
und Stadtfrieden. Möglichkeiten und Grenzen franziskanischen Friedewirkens in mitteldeutschen Städten
im Spätmittelalter, in: Bettelorden und Stadt. Bettelorden und städtisches Leben im Mittelalter und in der
Neuzeit, hg. von Dieter Berg (Saxonia Franciscana 1), Werl 1992, S. 153 –178.
80 John Munro, The »industrial crisis« of the English textile towns, c.1290 – c.1330, in: Thirteenth Century
England. Proceedings of the Durham Conference 1997, hg. von Michael Charles Prestwich, Woodbridge
1999, S. 103 –142.
81 Hans Baron, Franciscan Poverty and Civic Wealth in the Shaping of Trecento Humanistic Thought:
The Role of Petrarch, in: ders., In search of Florentine civic humanism. Essays on the transition from
medieval to modern thought, 2 Bde., Princeton 1988, Bd. 1, S. 158 –190.