Armut, Arbeit, Bettel? | 305
Gerade die Frage der architektonischen Gestaltung macht dies sehr deutlich, wie
Matthias Untermann zeigt. Forscher des 19. und 20. Jahrhundert wollten an der
Architektur franziskanischer Kirchen den Zerfall der mendikantischen Ideale ablesen.
Die Kritik geht jedoch fehl. ²⁰ Vielmehr ist eine typisch mittelalterliche Funktionslogik
der Architektur anzunehmen: Die Franziskaner sollten in ihren Kirchen
erkennbar sein, zugleich durften aber auch die Interessen des städtischen Publikums
nicht vernachlässigt werden. Die Frage war, ob und wie man auch in aufwändiger
Architektur den Ordensidealen treu bleiben konnte, etwa durch den Eindruck der
Reduktion und des bewussten Verzichts. Die Bescheidenheit musste an das Ortsübliche
angepasst werden. ²¹
Eine solche Pragmatik macht es schwer, überhaupt den Begriff »Bettelordenarchitektur«
zu gebrauchen; eine solche Pragmantik entsprach aber auch wohl eher
nicht den Intentionen der zweiten Franziskusvita, nach der der Heilige darauf bestanden
habe, dass seinen Brüdern nur Gebäude aus Holz und nicht aus Stein errichtet
würden. ²² Vielleicht mussten die Mendikanten erst jenen »guten Magen der
Kirche« entwickeln, über den Goethe seinen Mephistopheles sprechen lässt: »Die
Kirch allein, meine lieben Frauen, kann ungerechtes Gut verdauen«. ²³
Verdauungsfördernd wirkte das Kirchenrecht – Armut wurde juristisch definiert.
²⁴ Hier kamen die berühmten Differenzierungen Gregors IX. und Innozenz IV.
von Eigentum und Gebrauch der franziskanischen Güter ins Spiel ²⁵ – wobei man ja
auch weiß, dass der Gebrauch oftmals lukrativer ist als das Eigentum. Auch Bonaventura
von Bagnoregio hatte festgehalten, dass es eine Unterscheidung zwischen
Eigentum und Gebrauch einer Sache gebe und bei dieser Differenzierung auf das
römische Recht zurückgegriffen. So konnte er herausstellen, dass zentrales Kennzeichen
der Franziskaner sei, dass nicht nur – wie bei anderen Orden – persönliche
Armut herrsche, sondern auch der Orden kollektiv arm sei. ²⁶
Leistungsangebots: »Aus diesem Grund spielten die Franziskaner in der Wirtschaft der sie beherbergenden
Städte eine allenfalls untergeordnete Rolle« (Ebd., S. 305).
20 Matthias Untermann, Architektur und Armutsgebot. Zur Charakteristik franziskanischer Kirchenund
Klosterbauten, in: Gelobte Armut. Armutskonzepte der franziskanischen Ordensfamilie vom Mittelalter
bis in die Gegenwart, hg. von Heinz-Dieter Heimann/Angelica Hilsebein/Bernd Schmies u.a.,
Paderborn/München/Wien u.a. 2012, S. 335 –346, hier S. 336.
21 Untermann, Architektur (wie Anm. 20), S. 336 –340.
22 Thomas de Celano, Vita secunda S. Francisci (wie Anm. 16), cap. 25, 55, S. 165 und insbes. cap. 26, 56,
S. 165: Docebat suos habitacula paupercula facere, ligneas, non lapideas, easque schemate casellas erigere.
23 Johann Wolfgang Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil, Stuttgart 1997, vv. 2805ff., hier: vv. 2839 f., S. 82.
24 Röhrkasten, Theorie (wie Anm. 6), S. 354.
25 Letztlich setzte Innozenz IV. 1245 in der Bulle Ordinem vestrum fest, dass der Apostolischer Stuhl Inhaber
aller durch die Franziskaner genutzten Güter sei (Bullarium Franciscanum Romanorum Pontificum,
hg. von Giovanni Giacinto Sbaraglia/Konrad Eubel, Bd. 1: Ab Honorio III. ad Innocentium IIII.,
Rom 1759, Nr. 114, S. 400 – 402).
26 Röhrkasten, Theorie (wie Anm. 6), S. 357 f.
Gerade die Frage der architektonischen Gestaltung macht dies sehr deutlich, wie
Matthias Untermann zeigt. Forscher des 19. und 20. Jahrhundert wollten an der
Architektur franziskanischer Kirchen den Zerfall der mendikantischen Ideale ablesen.
Die Kritik geht jedoch fehl. ²⁰ Vielmehr ist eine typisch mittelalterliche Funktionslogik
der Architektur anzunehmen: Die Franziskaner sollten in ihren Kirchen
erkennbar sein, zugleich durften aber auch die Interessen des städtischen Publikums
nicht vernachlässigt werden. Die Frage war, ob und wie man auch in aufwändiger
Architektur den Ordensidealen treu bleiben konnte, etwa durch den Eindruck der
Reduktion und des bewussten Verzichts. Die Bescheidenheit musste an das Ortsübliche
angepasst werden. ²¹
Eine solche Pragmatik macht es schwer, überhaupt den Begriff »Bettelordenarchitektur«
zu gebrauchen; eine solche Pragmantik entsprach aber auch wohl eher
nicht den Intentionen der zweiten Franziskusvita, nach der der Heilige darauf bestanden
habe, dass seinen Brüdern nur Gebäude aus Holz und nicht aus Stein errichtet
würden. ²² Vielleicht mussten die Mendikanten erst jenen »guten Magen der
Kirche« entwickeln, über den Goethe seinen Mephistopheles sprechen lässt: »Die
Kirch allein, meine lieben Frauen, kann ungerechtes Gut verdauen«. ²³
Verdauungsfördernd wirkte das Kirchenrecht – Armut wurde juristisch definiert.
²⁴ Hier kamen die berühmten Differenzierungen Gregors IX. und Innozenz IV.
von Eigentum und Gebrauch der franziskanischen Güter ins Spiel ²⁵ – wobei man ja
auch weiß, dass der Gebrauch oftmals lukrativer ist als das Eigentum. Auch Bonaventura
von Bagnoregio hatte festgehalten, dass es eine Unterscheidung zwischen
Eigentum und Gebrauch einer Sache gebe und bei dieser Differenzierung auf das
römische Recht zurückgegriffen. So konnte er herausstellen, dass zentrales Kennzeichen
der Franziskaner sei, dass nicht nur – wie bei anderen Orden – persönliche
Armut herrsche, sondern auch der Orden kollektiv arm sei. ²⁶
Leistungsangebots: »Aus diesem Grund spielten die Franziskaner in der Wirtschaft der sie beherbergenden
Städte eine allenfalls untergeordnete Rolle« (Ebd., S. 305).
20 Matthias Untermann, Architektur und Armutsgebot. Zur Charakteristik franziskanischer Kirchenund
Klosterbauten, in: Gelobte Armut. Armutskonzepte der franziskanischen Ordensfamilie vom Mittelalter
bis in die Gegenwart, hg. von Heinz-Dieter Heimann/Angelica Hilsebein/Bernd Schmies u.a.,
Paderborn/München/Wien u.a. 2012, S. 335 –346, hier S. 336.
21 Untermann, Architektur (wie Anm. 20), S. 336 –340.
22 Thomas de Celano, Vita secunda S. Francisci (wie Anm. 16), cap. 25, 55, S. 165 und insbes. cap. 26, 56,
S. 165: Docebat suos habitacula paupercula facere, ligneas, non lapideas, easque schemate casellas erigere.
23 Johann Wolfgang Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil, Stuttgart 1997, vv. 2805ff., hier: vv. 2839 f., S. 82.
24 Röhrkasten, Theorie (wie Anm. 6), S. 354.
25 Letztlich setzte Innozenz IV. 1245 in der Bulle Ordinem vestrum fest, dass der Apostolischer Stuhl Inhaber
aller durch die Franziskaner genutzten Güter sei (Bullarium Franciscanum Romanorum Pontificum,
hg. von Giovanni Giacinto Sbaraglia/Konrad Eubel, Bd. 1: Ab Honorio III. ad Innocentium IIII.,
Rom 1759, Nr. 114, S. 400 – 402).
26 Röhrkasten, Theorie (wie Anm. 6), S. 357 f.