306 | Stefan Burkhardt
Diese Auffassung wurde durch Hugo von Digne in seinem Regelkommentar
relativiert. Nicht durch die Ablehnung des Eigentums allein erreiche man die perfectio,
sondern durch generelle demütige Selbstbeschränkung des Niesbrauchs: Armut
dürfe nicht nur vorgespielt werden; freiwillig Arme sollten sich beim Essen
zurückhalten; alle Ordensbauten sollten unter dem Vorzeichen der Armut stehen;
Armut bedeute auch, dass man Dinge, über die man verfügen könne, nicht für alle
Zwecke gebrauchen dürfe. ²⁷ Die Konstitutionen des Generalkapitels von Narbonne
von 1260 wollten die Wertschöpfung in Häusern der Franziskaner – etwa durch
Nutztiere – begrenzt wissen. ²⁸ Diese Diskussionen sollten bis ins 14. Jahrhundert
weitergeführt werden: Was entsprach dem Armutsgebot am besten: die Einschränkung
des Gebrauchs notwendiger Dinge oder der bloße Verzicht auf Eigentum?
Armut und Demut waren auch in ihrer juristischen Akzentuierung eng verschränkt.
Wie hinsichtlich der architektonischen Gestaltung mussten sich die Franziskaner
bei der Inszenierung ihrer Armut auf ihr jeweiliges Umfeld einlassen, weil sie – wie
kein anderer Orden – von dessen Wohlwollen abhängig waren.
Auf eine weitere mögliche, viel frühere Beeinflussung der Franziskaner durch
das Kirchenrecht hat David Flood hingewiesen: Der Bettel als Abschöpfen der auch
nach Gründen der Gerechtigkeit zustehenden Almosen. Eine Erkenntnis, die vielleicht
nur möglich war, da sich die frühen Franziskaner nicht in deserto zurückzogen,
eine soziale Innovation die der mit dem Volk gemeinsam geteilten Arbeitswelt
entsprang und die sich im Jetzt der Aufführung manifestierte: »Lohn war da und
Betteln bedeutete eine Lehre«. Diese Kontinuitätslinie blieb allerdings mit der Klerikalisierung
des Ordens nur höchst unterschwellig erhalten. Armut gewann im
Laufe der Zeit immer mehr an Symbolcharakter. Bereits im 13. Jahrhundert hatte
sich die demütige Haltung der Franziskaner geändert: Sie begannen ihre Rechte zu
verteidigen und auf ihren Ansprüchen zu bestehen. ²⁹ Armut, Arbeit, Bettel – drei
Schlagworte, unter denen es sich lohnt, die »Wirkung« einer Bewegung »in die
Welt« in ihrer sozialen und juristischen Perspektivierung zu diskutieren, nicht nur
in Bezug auf die Occupy-Bewegung.
27 Hugh of Digne’s Rule Commentary, hg. von David Flood (Spicilegium Bonaventurianum 14), Grottaferrata
1979, S. 161.
28 Vgl. Constitutiones generales narbonenses (1260), in: Constitutiones generales ordinis fratrum minorum,
hg. von Cesare Cenci/Georges Mailleux, Bd. 1: Saeculum XIII (Analecta Franciscana 13), Grottaferrata
2007, S. 65 –103, hier S. 75 f., cap. 14, 15, 18, 19.
29 Röhrkasten, Theorie (wie Anm. 6), S. 363 –365. Zugleich kam es zu einer Schwerpunktverlagerung der
Diskussion: »Franziskanische Armut war kein Selbstzweck; sie war Bestandteil eines größeren Propositums
– der Nachfolge Jesu, des Lebens gemäß dem Evangelium. Dazu bedurfte es des Gehorsams, und
das führt […] zum eigentlichen Problem der Franziskaner, nämlich der obedientia« (Ebd., S. 365).
Diese Auffassung wurde durch Hugo von Digne in seinem Regelkommentar
relativiert. Nicht durch die Ablehnung des Eigentums allein erreiche man die perfectio,
sondern durch generelle demütige Selbstbeschränkung des Niesbrauchs: Armut
dürfe nicht nur vorgespielt werden; freiwillig Arme sollten sich beim Essen
zurückhalten; alle Ordensbauten sollten unter dem Vorzeichen der Armut stehen;
Armut bedeute auch, dass man Dinge, über die man verfügen könne, nicht für alle
Zwecke gebrauchen dürfe. ²⁷ Die Konstitutionen des Generalkapitels von Narbonne
von 1260 wollten die Wertschöpfung in Häusern der Franziskaner – etwa durch
Nutztiere – begrenzt wissen. ²⁸ Diese Diskussionen sollten bis ins 14. Jahrhundert
weitergeführt werden: Was entsprach dem Armutsgebot am besten: die Einschränkung
des Gebrauchs notwendiger Dinge oder der bloße Verzicht auf Eigentum?
Armut und Demut waren auch in ihrer juristischen Akzentuierung eng verschränkt.
Wie hinsichtlich der architektonischen Gestaltung mussten sich die Franziskaner
bei der Inszenierung ihrer Armut auf ihr jeweiliges Umfeld einlassen, weil sie – wie
kein anderer Orden – von dessen Wohlwollen abhängig waren.
Auf eine weitere mögliche, viel frühere Beeinflussung der Franziskaner durch
das Kirchenrecht hat David Flood hingewiesen: Der Bettel als Abschöpfen der auch
nach Gründen der Gerechtigkeit zustehenden Almosen. Eine Erkenntnis, die vielleicht
nur möglich war, da sich die frühen Franziskaner nicht in deserto zurückzogen,
eine soziale Innovation die der mit dem Volk gemeinsam geteilten Arbeitswelt
entsprang und die sich im Jetzt der Aufführung manifestierte: »Lohn war da und
Betteln bedeutete eine Lehre«. Diese Kontinuitätslinie blieb allerdings mit der Klerikalisierung
des Ordens nur höchst unterschwellig erhalten. Armut gewann im
Laufe der Zeit immer mehr an Symbolcharakter. Bereits im 13. Jahrhundert hatte
sich die demütige Haltung der Franziskaner geändert: Sie begannen ihre Rechte zu
verteidigen und auf ihren Ansprüchen zu bestehen. ²⁹ Armut, Arbeit, Bettel – drei
Schlagworte, unter denen es sich lohnt, die »Wirkung« einer Bewegung »in die
Welt« in ihrer sozialen und juristischen Perspektivierung zu diskutieren, nicht nur
in Bezug auf die Occupy-Bewegung.
27 Hugh of Digne’s Rule Commentary, hg. von David Flood (Spicilegium Bonaventurianum 14), Grottaferrata
1979, S. 161.
28 Vgl. Constitutiones generales narbonenses (1260), in: Constitutiones generales ordinis fratrum minorum,
hg. von Cesare Cenci/Georges Mailleux, Bd. 1: Saeculum XIII (Analecta Franciscana 13), Grottaferrata
2007, S. 65 –103, hier S. 75 f., cap. 14, 15, 18, 19.
29 Röhrkasten, Theorie (wie Anm. 6), S. 363 –365. Zugleich kam es zu einer Schwerpunktverlagerung der
Diskussion: »Franziskanische Armut war kein Selbstzweck; sie war Bestandteil eines größeren Propositums
– der Nachfolge Jesu, des Lebens gemäß dem Evangelium. Dazu bedurfte es des Gehorsams, und
das führt […] zum eigentlichen Problem der Franziskaner, nämlich der obedientia« (Ebd., S. 365).