Metadaten

Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

DOI article:
Rexroth, Frank: Monastischer und scholastischer Habitus: Beobachtungen zum Verhältnis zwischen zwei Lebensformen des 12. Jahrhunderts
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0327
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
326 | Frank Rexroth
dann kann man sich ein Bild davon machen, wie massiv Bernhard den Pariser Jünglingen
ins Gewissen redete, ihre scholastischen Ambitionen zu begraben: »Flieht
aus der Mitte Babylons, flieht und rettet eure Seelen! Eilt zu den Asylstätten […]«. ²³
Von den vielfältigen Formen der Kritik, denen sich die Pariser Schulen ausgesetzt
sahen, war die der Zisterzienser die massivste, denn sie beschränkte sich nicht darauf,
bestimmte Unzulänglichkeiten zu tadeln, die man aus der Außensicht mit den
Schulen verband: Karrierismus, Selbstgefälligkeit, Eitelkeit oder aber eine übertriebene,
nicht mehr kontrollierbare Selbstreferentialität, die man gerade beim Milieu
der Logiker vermutete. Vielmehr zielte die Kritik der Zisterzienser darauf, den
Betrieb an den scholae samt und sonders anzugreifen und dessen verderblichen
Erscheinungsformen zu brandmarken. Schon bald wurde Peter Abaelard zu Bernhards
Zielscheibe: Wie könne dieser Theologe neuer Machart nur den christlichen
Glauben wie eine Meinung behandeln? Damit gebe er ihn doch der Beliebigkeit
preis! Abaelard irre fundamental, wenn er annehme, der Glaube könne durch zweifelhafte
Meinungen ins Wanken geraten. »Was für uns das Sicherste ist, darüber
schwätzt du mir wie über etwas Ungewisses? […] Weit von uns gewiesen sei also
der Gedanke, dass der christliche Glaube diese Grenzen haben könnte! Es sind dies
Ansichten der Akademiker, deren Eigenheit es ist, an allem zu zweifeln und nichts
zu wissen«. ²⁴
Die Schulen zu verlassen und sich dem Klosterleben zuzuwenden, hatte sein
paradigmatisches Vorbild in der Bekehrung des heiligen Benedikt, der nach dem
Bericht im Prolog zum zweiten Buch der »Dialoge« Gregors des Großen mit seinem
Besuch der römischen Schulen schon den Fuß auf die Schwelle zur Welt gesetzt
hatte, um sich dann von den Wissenschaften ab- und dem Klosterleben zuzuwenden.
²⁵ Von Caesarius von Arles und letztlich auch von Bernhard selbst erzählte man
sich ähnliche Geschichten. ²⁶ Ein Bewunderer der Zisterzienser, der Benediktiner
23 Bernhard von Clairvaux, Ad clericos (wie Anm. 22), cap. 37, S. 236 f.
24 Academicorum sint istae aestimationes, quorum est dubitare de omnibus, scire nihil; Bernhard von
Clairvaux, ep. 190, in: Ders., Sämtliche Werke lateinisch/deutsch, hg. von Gerhard Winkler, 10 Bde.,
Innsbruck 1990 –1999, hier Bd. 3, S. 74 –121, hier S. 90 f.
25 Gregor der Große, Dialoge, hg. von Umberto Moricca (Fonti per la Storia d’Italia 57), Rom 1924, lib.
II, Prolog, S. 71 f.: Qui liberiori genere ex provincia Nursia exortus, Romae liberalibus litterarum studiis
traditus fuerat. Sed dum in eis multos ire per abrupta vitiorum cernerit, eum, quem quasi in ingressum
mundi posuerat, retraxit pedem, ne si quid de scientia eius adtingerit, ipse quoque postmodum in inmane
praecipitium totus iret. Despectis itaque litterarum studiis, relicta domo rebusque patris, soli Deo
placere desiderans, sanctae conversionis habitum quaesivit. Recessit igitur scienter nescius et sapienter
indoctus.
26 Caesarius von Arles, Opera omnia, hg. von Germain Morin, Bd. 2: Opera varia, Brügge 1942, S. 299 f.
Die Belege zu Bernhards intellektuellen und dichterischen Aktivitäten bei Peter Dinzelbacher, Bernhard
von Clairvaux. Leben und Werk des berühmten Zisterziensers, Darmstadt 1998, S. 8 –11.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften