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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Rexroth, Frank: Monastischer und scholastischer Habitus: Beobachtungen zum Verhältnis zwischen zwei Lebensformen des 12. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0331
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330 | Frank Rexroth
gen erlernt werden, wobei der Rute bei den Mönchen eine reale Bedeutung zukam,
wogegen sie in der Wissenschaft immerhin noch als Symbol für die Lehrsituation
präsent war. Vollmönche, im Unterschied zu den häufig leseunkundigen Konversen,
wurden in den Consuetudines von Fruttuaria auch literati genannt – sie waren
auch insofern »vollständige« Mönche, als sie sich in der Vergangenheit der Disziplin
des klösterlichen Unterrichts unterworfen hatten. ³⁸ Demut und äußere Einfachheit
wurden gerade von den philosophisch-theologisch gelehrten Scholastikern angesichts
der Karriereträchtigkeit anderer Studiengebiete programmatisch gefordert,
äußerliche Unansehnlichkeit konnte zum Symbol der Geistigkeit werden, die sich
in Weltabgewandtheit erfüllte. Traurig und bleich kamen die zeitgenössischen Scholaren
dem Chronisten Wilhelm von Malmesbury vor. ³⁹
Ähnlichkeiten dieser Art kann man unter dem Schlagwort zusammenfassen, das
Ernst Kantorowicz mit dem Titel seiner Studie »Die Wiederkehr gelehrter Anachorese
im Mittelalter« prägte. ⁴⁰ Dieser Begriff leitet endgültig zum Ausgangsthema
der Tagung zurück, nämlich zu der Frage, was die Monastik der Scholastik mit auf
den Weg gegeben hat. Das Besondere am Konzept der gelehrten Anachorese, wie
Kantorowicz es vornehmlich anhand Abaelards und dann der Humanisten rekonstruierte,
ist, dass sie nicht durch die Flucht vor den Menschen in die Einsamkeit
geschaffen wird, sondern durch eine Art der Einsamkeit unter den Menschen. Intellektuelle
und religiöse Motive der Weltflucht flossen dabei ineinander. In der Tat
teilte Abaelard ja seinem ungenannten Adressaten in der Historia calamitatum sehr
deutlich mit, dass ihm angesichts seiner Misere nicht nur die antiken Philosophen,
sondern auch die großen Vorbilder des Mönchtums vor Augen standen, als er sich
mit seinen Schülern in die Einöde zum Philosophieren zurückzog. »Was heutzutage
bei uns die Mönche – jedenfalls diejenigen, die diese Bezeichnung verdienen – aus
Liebe zu Gott auf sich nehmen, das taten bei den Heiden die besten Philosophen
im Verlangen nach Philosophie.« ⁴¹ In den Konvent von St.-Denis trat Abaelard nur
38 Consuetudines Fructuarienses-Sanblasianae, hg. von Luchesius G. Spätling/Petrus Dinter, Bd. 1
(Corpus Consuetudinum Monasticarum 12, 1–2), S. 76, Nr. 87, Z. 21. Vgl. Maria Lahaye-Geusen, Das
Opfer der Kinder. Ein Beitrag zur Liturgie- und Sozialgeschichte des Mönchtums im hohen Mittelalter
(Münsteraner theologische Abhandlungen 13), Altenberge 1991, S. 113 f.
39 William of Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, hg. von Roger Aubrey Baskerville Mynors/Rodney
Malcolm Thomson/Michael Winterbottom, Bd. 1, Oxford 1998, S. 524 –527: […] in tanto numero
discentium, in tam tristi pallore lucubrantium, uix aliquis plenam scientiae laudem referat […].
40 Ernst Hartwig Kantorowicz, Die Wiederkehr gelehrter Anachorese im Mittelalter, in: Ders., Selected
Studies, New York 1965, S. 339 –351.
41 Peter Abaelard, Historia calamitatum (wie Anm. 32), S. 30 f. (dort auch die deutsche Übersetzung): Quod
nunc igitur apud nos amore Dei sustinent, qui vere monachi dicuntur, hoc desiderio philosophiae, qui
nobiles in gentibus exstiterunt philosophi.
 
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