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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Rexroth, Frank: Monastischer und scholastischer Habitus: Beobachtungen zum Verhältnis zwischen zwei Lebensformen des 12. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0333
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332 | Frank Rexroth
von Humanisten wie Thomas Morus ⁴⁷ und, über sie hinaus ⁴⁸ und in neuer Gestalt,
bis in die Gelehrtenhaushalte des 19. und 20. Jahrhunderts. ⁴⁹
Es ist ein Irrtum zu glauben, dass sich die ehelose Lebensform vor allem der
Artisten- und der Theologenprofessoren gänzlich aus deren Zugehörigkeit zum
Klerus herleiten lasse. Einzuwenden ist gegen diese Sicht, dass die Lebensentwürfe
der Gelehrten wenig zu tun hatten mit den kultischen Reinheitsvorstellungen, die
dem Zölibat der Priester zugrunde lagen. ⁵⁰ Die gelehrte Enthaltsamkeits-Semantik
schöpfte stattdessen aus monastischen Vorbildern und formte diese zum Ideal der
freien Philosophenexistenz um, wie Alain de Libera gezeigt hat. ⁵¹ Sie überdauerte
auch die Säkularisierungstendenzen kommender Jahrhunderte, und so wirkte sie
in der Neuzeit und der Moderne auch dann noch nach, als Professoren und andere
Gelehrte schließlich doch zumeist heirateten. Es wäre reizvoll, den modernen Kult
des gelehrten Studierzimmers, der männlichen Abgeschiedenheit inmitten der bürgerlichen
Familienexistenz, genauer darauf zu befragen, was er dem monastischen
Vorbild schuldet. ⁵²
Deshalb sollen diese Überlegungen mit einem Blick in die Korrespondenz des
1837 geborenen britischen Historikers John Richard Green geschlossen werden.
Dieser schrieb als junger und noch unverheirateter Mann in einem Brief von 1859,
er wünsche sich für die Zukunft eine Lebensgefährtin, »who will never invade my
47 Siehe Mores Brief an seinen Freund Peter Giles, der den ersten Ausgaben der Utopia vorangestellt war;
Thomas Morus, Complete Works, Bd. 4: Utopia, hg. von Edward Surtz/Jack H. Hexter, New Haven/
London 1965, S. 38 – 41. Vgl. aber schon viel früher die Quaestio Sigers von Brabant, quis status magis
competat philosophis, an virginalis an coniugalis; ediert bei Friedrich Stegmüller, Neugefundene
Quaestionen des Siger von Brabant, in: Recherches de théologie anciénne et médiévale 3, 1931, S. 158 –
182, dort S. 175 (= Quaestio moralis 4). Stimmen der Forschung: Gadi Algazi, ›Habitus‹, ›familia‹ und
›forma vitae‹. Die Lebensweisen mittelalterlicher Gelehrter in muslimischen, jüdischen und christlichen
Gemeinden – vergleichend betrachtet, in: Beiträge zur Kulturgeschichte der Gelehrten im späten Mittelalter,
hg. von Frank Rexroth (Vorträge und Forschungen 73), Ostfildern 2010, S. 185 –218; Wolfgang
Eric Wagner, Verheiratete Magister und Scholaren an der spätmittelalterlichen Universität, in: ebd.,
S. 71–100.
48 So z. B. Gottfried Böttner, Dissertatio historico-moralis De malis eruditorum uxoribus, vulgo Von
den bösen Weibern der Gelehrten, Leipzig 1705. Marian Füssel, Die zwei Körper des Professors. Zur
Geschichte des akademischen Habitus in der Frühen Neuzeit, in: Universalität in der Provinz. Die vormoderne
Landesuniversität Gießen zwischen korporativer Autonomie, staatlicher Abhängigkeit und
gelehrten Lebenswelten, hg. von Horst Carl/Friedrich Lenger, Darmstadt 2009, S. 209 –232, dort
weitere Literatur bis ca. 2008.
49 Lorraine Daston, Die wissenschaftliche Persona. Arbeit und Berufung, in: Zwischen Vorderbühne und
Hinterbühne. Beiträge zum Wandel der Geschlechterbeziehungen in der Wissenschaft vom 17. Jahrhundert
bis zur Gegenwart, hg. von Theresa Wobbe, Bielefeld 2003, S. 109 –136; Heinrich Klenz, Gelehrtenkuriositäten,
Teil 2: Kakogamen, in: Zeitschrift für Bücherfreunde. Neue Folge 5, 1913, S. 86 –93.
50 Pier Franco Beatrice/Jack Domitian/Peter Gerlitz u. a., Keuschheit, in: Theologische Realenzyklopädie,
Bd. 18, Berlin/New York 1989, S. 113 –134.
51 Alain de Libera, Denken im Mittelalter, übers. von Andreas Knop, München 2003 (französisch 1991).
52 Frank Rexroth, Die Universität war der Freiraum! Ein Blick zurück auf die Autonomie der mittelalterlichen
Wissenschaft, in: Georgia Augusta 7, 2010, S. 15 –21.
 
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