342 | Gert Melville
schaft, in der man »ein Herz und eine Seele« (Apg. 4, 32) war, eine Davidsche Harfe
harmonisierender Saiten, eine acies eben auch, eine geschlossene Schlachtenreihe.
Dort sollte unter Aufgriff der benediktinischen Norm der discretio, also der Fähigkeit
der Unterscheidung, eine gerechte, weil die unterschiedliche Kompetenz
beachtende Verteilung der Aufgaben und Belastungen vorgenommen werden – und
gleichzeitig das Gehorsamsgebot wesentlich stringenter gefasst werden, da es nun
mehr und mehr auch in der innerlichen Zustimmung des einzelnen Individuums
verankert wurde. Unzählige paränetische Text zeugen davon, wie der Einzelne jetzt
auch zur Selbstverantwortlichkeit aufgerufen wurde. Höchster Maßstab war nun –
seit Augustinus endlich wieder! – das individuelle Gewissen, die conscientia, verstanden
als cordis scientia, als Wissen des Herzens. Hier begegnete man sich selbst
vor den Augen Gottes und band sich – wie es hieß – an sein eigenes Gesetz (lex tua
te constringit ⁵ ). Die Klosterleute lernten nun, ihr Gewissen als unausweichlichen
Begleiter anzunehmen, im Gewissen sich selbst zu begegnen als Individuum vor
den Geboten ihres religiösen Lebens und als Partner nur noch Gott zu haben, der
in die Herzen blicke. Mit Schlagworten wie »Wage, Dich zu erkennen« ⁶ wurde ein
Verhalten trainiert, das Maß im eigenen Inneren zu suchen und zugleich maßlos
zu sein in der Sehnsucht nach göttlicher Nähe. Damit war ein persönlicher Weg
der Hinwendung des Einzelnen zu Gott angesprochen und somit auch ein Terrain
des Charismas markiert, das von den gemeinschaftsbezogenen Normen unberührt
blieb. Sich Gottes Transzendenz – wie oben schon angemerkt – der Seele immanent
zu machen, bedeutete final, mit Gott unmittelbar zu kommunizieren.
Unter (teilweise sogar sehr harscher) Abhebung vom traditionellen Mönchtum
hatte zu jener Zeit die Seite des Individuellen in der klösterlichen Dichotomie von
»Individuum und Gemeinschaft« eine wesentliche Stärkung erfahren. Der Einzelne
schien der Gemeinschaft allenfalls noch als schützender und unterstützender Schale
zu bedürfen, innerhalb der er seinen religiösen Eifer im Streben nach Gottesnähe
zu leben vermochte. Die Balance hatte sich strukturell verschoben. Damit verantwortungsbewusst
umzugehen, ohne weder das Eigene noch das Ganze zu verlieren,
erforderte Mut zur Erprobung von Neuem – verlangte ebenso Bereitschaft
zum Innovatorischen wie innovative Fähigkeit selbst. Die Lösung musste in der
gleichzeitigen Stärkung des gemeinschaftlichen, des institutionellen Elementes liegen
und dabei etwas zur Anwendung gebracht werden, was dem individuellen, im
Kern maßlosen Seeleneifer komplementär an die Seite zu stellen war. Es war schon
Max Weber, der diesen Bedarf begrifflich fasste, als er von »rationalen Leistungen
5 De interiori domo seu De conscientia aedificanda, in: Patrologia Latina, hg. von Jacques-Paul Migne, Bd.
184, Paris 1854, Sp. 507–552, hier Sp. 534.
6 Meditationes piissimae (wie Anm. 4), Sp. 494.
schaft, in der man »ein Herz und eine Seele« (Apg. 4, 32) war, eine Davidsche Harfe
harmonisierender Saiten, eine acies eben auch, eine geschlossene Schlachtenreihe.
Dort sollte unter Aufgriff der benediktinischen Norm der discretio, also der Fähigkeit
der Unterscheidung, eine gerechte, weil die unterschiedliche Kompetenz
beachtende Verteilung der Aufgaben und Belastungen vorgenommen werden – und
gleichzeitig das Gehorsamsgebot wesentlich stringenter gefasst werden, da es nun
mehr und mehr auch in der innerlichen Zustimmung des einzelnen Individuums
verankert wurde. Unzählige paränetische Text zeugen davon, wie der Einzelne jetzt
auch zur Selbstverantwortlichkeit aufgerufen wurde. Höchster Maßstab war nun –
seit Augustinus endlich wieder! – das individuelle Gewissen, die conscientia, verstanden
als cordis scientia, als Wissen des Herzens. Hier begegnete man sich selbst
vor den Augen Gottes und band sich – wie es hieß – an sein eigenes Gesetz (lex tua
te constringit ⁵ ). Die Klosterleute lernten nun, ihr Gewissen als unausweichlichen
Begleiter anzunehmen, im Gewissen sich selbst zu begegnen als Individuum vor
den Geboten ihres religiösen Lebens und als Partner nur noch Gott zu haben, der
in die Herzen blicke. Mit Schlagworten wie »Wage, Dich zu erkennen« ⁶ wurde ein
Verhalten trainiert, das Maß im eigenen Inneren zu suchen und zugleich maßlos
zu sein in der Sehnsucht nach göttlicher Nähe. Damit war ein persönlicher Weg
der Hinwendung des Einzelnen zu Gott angesprochen und somit auch ein Terrain
des Charismas markiert, das von den gemeinschaftsbezogenen Normen unberührt
blieb. Sich Gottes Transzendenz – wie oben schon angemerkt – der Seele immanent
zu machen, bedeutete final, mit Gott unmittelbar zu kommunizieren.
Unter (teilweise sogar sehr harscher) Abhebung vom traditionellen Mönchtum
hatte zu jener Zeit die Seite des Individuellen in der klösterlichen Dichotomie von
»Individuum und Gemeinschaft« eine wesentliche Stärkung erfahren. Der Einzelne
schien der Gemeinschaft allenfalls noch als schützender und unterstützender Schale
zu bedürfen, innerhalb der er seinen religiösen Eifer im Streben nach Gottesnähe
zu leben vermochte. Die Balance hatte sich strukturell verschoben. Damit verantwortungsbewusst
umzugehen, ohne weder das Eigene noch das Ganze zu verlieren,
erforderte Mut zur Erprobung von Neuem – verlangte ebenso Bereitschaft
zum Innovatorischen wie innovative Fähigkeit selbst. Die Lösung musste in der
gleichzeitigen Stärkung des gemeinschaftlichen, des institutionellen Elementes liegen
und dabei etwas zur Anwendung gebracht werden, was dem individuellen, im
Kern maßlosen Seeleneifer komplementär an die Seite zu stellen war. Es war schon
Max Weber, der diesen Bedarf begrifflich fasste, als er von »rationalen Leistungen
5 De interiori domo seu De conscientia aedificanda, in: Patrologia Latina, hg. von Jacques-Paul Migne, Bd.
184, Paris 1854, Sp. 507–552, hier Sp. 534.
6 Meditationes piissimae (wie Anm. 4), Sp. 494.