Metadaten

Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

DOI Artikel:
Schneidmüller, Bernd: Deuten und Gestalten in mittelalterlichen Klöstern als Innovation: Ein Schlusswort
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0359
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
358 | Bernd Schneidmüller
Bedeutung ihres Themas, das im Sinne der Grundlagenforschung sowohl durch
Editionen neuer Texte erschlossen als auch inhaltlich neu positioniert werden sollte.
Es ist an dieser Stelle angebracht, die Überlegungen aus dem gemeinsam formulierten
Antrag zu zitieren:
»Mittelalterliche Klöster verstanden sich als Einrichtungen zwischen Himmel
und Erde; doch sie vermochten den Himmel nur zu öffnen, weil sie dem irdischen
Leben diejenige Gestalt verliehen, die den Himmel erschloss. Trainiert als ›Virtuosen‹
(Max Weber) des Glaubens, bildeten Frauen und Männer, die im Streben
nach Selbstheiligung die Welt verließen und sich in eine klösterliche Gemeinschaft
begaben, eine Elite auch im Umgang mit den pragmatischen Dingen des Lebens, da
diese die grundlegende Voraussetzung für die spirituelle Perfektionierung waren. In
Gestalt klösterlichen Lebens konnten sich somit wesentliche Bedürfnisse der mittelalterlichen
Gesellschaft kristallisieren: Bei Investitionen ebenso der Frömmigkeit
wie des weltlichen Betriebes von Wirtschaft und Politik gewährleisteten Klöster
eine sichere Anlageform.
Klöster (im Einzelnen wie in Aggregation zu Orden) waren Systeme, die eine
radikal zwingende Kohärenz zwischen ihren jeweiligen Elementen aufwiesen, also
zwischen dem Komplex der jeweiligen spirituell verankerten Leitideen, dem Normengefüge
der Verhaltensstrukturen der Mitglieder und der Ausgestaltung der Organisation.
Aus der Gestaltungskraft, die aus einem solcherart abgestimmten Leben erwachsen
konnte, hatten die Klöster dann zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert in
einem Akt höchster Rationalität gänzlich innovative Gemeinschaftsformen geschaffen.
Diese entsprachen den neu herausgebildeten religiösen Bedürfnissen in einer
sich wandelnden Gesellschaftsstruktur Europas, welche die Geltungsbehauptungen
herkömmlicher Institutionen hatten in Frage stellen lassen. Dabei wurden sowohl
Ordnungskonfigurationen für das klösterliche Leben selbst vorgelegt als auch Konzepte
aufgestellt, welche die Welt im Ganzen neu deuten und ordnen wollten.
Klösterliche Gemeinschaften jener Zeit glaubten an die Wirksamkeit von kollektiver
Willensbildung, schlossen sich zu Orden zusammen und schufen dabei völlig
neue Formen einer Vertretungskörperschaft; sie vertrauten auf die Geltungskraft
von gesatztem Recht und gaben sich erstmals ganz Europa überspannende Verfassungen;
sie setzten auf die stabilisierende Wirkung von Visitationen und richteten
ein stringentes System der institutionalisierten Kontrolle von Macht und Gehorsam
ein. Wissend jedoch um die Grenzen derartiger organisatorischer Regulative, verlangten
sie zugleich die Verinnerlichung der normativen Verhaltensstrukturen und
suchten einen neuen Menschen zu formen, der ebenso von der individuellen Kraft
seines Gewissens wie von der bedingungslosen Anerkennung der gemeinschaftlichen
Vorgaben geleitet war.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften