Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
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benutzen, sind uns der Spiegel unseres Wesens, der uns zeigt, was wir uns oft gern ver-
bergen, unter Umständen vergessen, und was uns dann als Wirklichkeit plötzlich über-
raschen kann wie eine Katastrophe.
Aber alle Bilder vom Menschen, seiner Grundkonstitution und seinen elementa-
ren Antrieben sind nicht absolute Festsetzungen eines Soseienden. Die Bilder sind
vielmehr selber Momente unseres uns bewegenden, erhellenden und vorantreiben-
den Selbstbewußtseins. In ihm ist das empirisch Unumgängliche, in seiner Faktizität
Anzuerkennende, unlösbar verknüpft mit der Freiheit, die in den gesehenen Bildern
Anziehung und Abstoßung vollzieht.
| b. Verhalten zur Vorgeschichte 52
Angesichts der Erdgeschichte (etwa in der Größenordnung von zwei Milliarden Jah-
ren) - angesichts der viel kürzeren Geschichte des Lebens auf der Erde (etwa in der Grö-
ßenordnung von einer halben Milliarde Jahren) - angesichts der Jahrhunderttausende,
in denen, nachweisbar durch Knochenfunde, Menschen auf der Erde lebten, - ist die
Geschichte des Menschen, von der wir wissen, und in der der Mensch sich als Ge-
schichte bewußt war - wir wiederholen es - von verschwindender Dauer. Zeitlich ist
diese Geschichte wie die erste Minute eines neuen Geschehens. Es hat gerade eben be-
gonnen. Dieses Grundfaktum kann nicht eindringlich genug vergegenwärtigt werden.
In diesem Horizont wird die ganze Geschichte zu einer kleinen, noch keimhaften Welt
innerhalb des Lebens der Menschheit, fast verschwindend innerhalb des unermeßli-
chen Raumes und der endlosen Zeit. Wir fragen:
Was bedeutet dieser Anfang?
Warum fühlt sich der Mensch, seit Überlieferung ist, also seit Beginn der
Geschichte, auch am Ende - sei es der erreichten Vollendung, sei es im Zustand des
Untergangs?
Ist es ein bloßer Zwischenaugenblick, bestimmt zu restlosem Verschwinden und
Vergessenwerden? Was bedeutet dann dieser Zwischenaugenblick?
Wie ist der Mensch geworden vor der Geschichte? Was hat er durchgemacht, ent-
faltet, getan, erfunden, bevor die überlieferte Geschichte begann?
Der Anspruch der Vorgeschichte an unsere Erkenntnis liegt in den kaum zu beant-
wortenden Fragen: woher kommen wir? was waren wir, als wir die Geschichte began-
nen? was war vor der Geschichte möglich? was ist damals geschehen an einschneiden-
den Vorgängen, durch die der Mensch zum Menschen geworden ist, der nun Geschichte
haben konnte? was gab es an vergessenen Tiefen, an »Uroffenbarung«, an uns verbor-
gener Helligkeit? wie entstanden Sprachen und Mythen, die am Beginn der Geschichte
schon vollendet vorliegen?
Vor diesen Fragen ist gewiß gleicherweise falsch die Phantasie einer Romantik, für
die alle Geschichte nur Abfall ist, - wie die | Nüchternheit, die in der Vorgeschichte 53
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benutzen, sind uns der Spiegel unseres Wesens, der uns zeigt, was wir uns oft gern ver-
bergen, unter Umständen vergessen, und was uns dann als Wirklichkeit plötzlich über-
raschen kann wie eine Katastrophe.
Aber alle Bilder vom Menschen, seiner Grundkonstitution und seinen elementa-
ren Antrieben sind nicht absolute Festsetzungen eines Soseienden. Die Bilder sind
vielmehr selber Momente unseres uns bewegenden, erhellenden und vorantreiben-
den Selbstbewußtseins. In ihm ist das empirisch Unumgängliche, in seiner Faktizität
Anzuerkennende, unlösbar verknüpft mit der Freiheit, die in den gesehenen Bildern
Anziehung und Abstoßung vollzieht.
| b. Verhalten zur Vorgeschichte 52
Angesichts der Erdgeschichte (etwa in der Größenordnung von zwei Milliarden Jah-
ren) - angesichts der viel kürzeren Geschichte des Lebens auf der Erde (etwa in der Grö-
ßenordnung von einer halben Milliarde Jahren) - angesichts der Jahrhunderttausende,
in denen, nachweisbar durch Knochenfunde, Menschen auf der Erde lebten, - ist die
Geschichte des Menschen, von der wir wissen, und in der der Mensch sich als Ge-
schichte bewußt war - wir wiederholen es - von verschwindender Dauer. Zeitlich ist
diese Geschichte wie die erste Minute eines neuen Geschehens. Es hat gerade eben be-
gonnen. Dieses Grundfaktum kann nicht eindringlich genug vergegenwärtigt werden.
In diesem Horizont wird die ganze Geschichte zu einer kleinen, noch keimhaften Welt
innerhalb des Lebens der Menschheit, fast verschwindend innerhalb des unermeßli-
chen Raumes und der endlosen Zeit. Wir fragen:
Was bedeutet dieser Anfang?
Warum fühlt sich der Mensch, seit Überlieferung ist, also seit Beginn der
Geschichte, auch am Ende - sei es der erreichten Vollendung, sei es im Zustand des
Untergangs?
Ist es ein bloßer Zwischenaugenblick, bestimmt zu restlosem Verschwinden und
Vergessenwerden? Was bedeutet dann dieser Zwischenaugenblick?
Wie ist der Mensch geworden vor der Geschichte? Was hat er durchgemacht, ent-
faltet, getan, erfunden, bevor die überlieferte Geschichte begann?
Der Anspruch der Vorgeschichte an unsere Erkenntnis liegt in den kaum zu beant-
wortenden Fragen: woher kommen wir? was waren wir, als wir die Geschichte began-
nen? was war vor der Geschichte möglich? was ist damals geschehen an einschneiden-
den Vorgängen, durch die der Mensch zum Menschen geworden ist, der nun Geschichte
haben konnte? was gab es an vergessenen Tiefen, an »Uroffenbarung«, an uns verbor-
gener Helligkeit? wie entstanden Sprachen und Mythen, die am Beginn der Geschichte
schon vollendet vorliegen?
Vor diesen Fragen ist gewiß gleicherweise falsch die Phantasie einer Romantik, für
die alle Geschichte nur Abfall ist, - wie die | Nüchternheit, die in der Vorgeschichte 53