74
Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
der abendländischen Kategorien, das helle Bewußtsein. Statt dessen würde das ewig
Asiatische übrigbleiben: die despotische Form des Daseins, die Geschichtslosigkeit und
Entscheidungslosigkeit, die Stabilisierung des Geistes in Fatalismen. Asien wäre das
Universelle, Bestehende, Überdauernde, das Europa einschließt. Was sich aus Asien
heraus gestaltet und in Asien zurücksinken muß, ist das Vorübergehende.
Aber solche kontrastierenden Bilder mit den Untergangsvisionen haben vielleicht
einen Augenblick einmal eine Evidenz. Sie sind in der Tat unwahr und ungerecht.
97 | Die chinesischen und indischen Wirklichkeiten seit dreitausend Jahren sind
ebenso sehr Versuche des Auftauchens aus jenem unbestimmten asiatischen Grunde.
Das Auftauchen ist ein universeller geschichtlicher Prozeß, nicht ein eigentümliches
Verhalten Europas zu Asien. Es geschieht in Asien selber. Es ist der Weg der Mensch-
heit und der eigentlichen Geschichte.
Man macht aus Asien ein mythisches Prinzip, das bei realistischer Analyse als ge-
schichtliche Wirklichkeit zerfällt. Der Gegensatz Europa-Asien darf nicht metaphy-
sisch hypostasiert werden. Dann wird er zum Schreckgespenst. Als mythische Sprache
im Augenblick von Entscheidungen dient es wie eine Chiffre,36 die eine Wahrheit nur
dann hat, wenn sie für etwas geschichtlich Konkretes und geistig Helles als abkürzen-
des Zeichen dient und nicht als Erkenntnis des Ganzen gemeint ist. Aber Asien-Eu-
ropa ist eine Chiffre, die die ganze abendländische Geschichte begleitet.
| 8. Noch einmal:
Schema der Weltgeschichte
Bevor wir uns der Gegenwart zuwenden, werfen wir noch einmal einen Blick auf das
Ganze der Geschichte, wie es sich uns strukturiert hat. Die Gesamtgeschichte gliedert
sich in drei einander folgende Phasen: Vorgeschichte, Geschichte, Weltgeschichte:
1) Die lange Vorgeschichte umfaßt das Werden des Menschen über die Sprach- und
Rassenbildungen bis zum Anfang der geschichtlichen Kulturen. Sie führt uns in das
Geheimnis des Menschseins, zum Bewußtsein der Einzigartigkeit des Menschen auf
der Erde, vor die Frage nach unserer Freiheit, die mit dem Ursprung aller Dinge Zusam-
menhängen muß, und die uns in der Welt nirgends sonst begegnet.
2) Die Geschichte umfaßt die Ereignisse von rund fünftausend Jahren in China, In-
dien und dem vorderen Orient mit Europa. China und Indien, nicht das gesamte geo-
graphische Asien, sind Europa an die Seite zu stellen.
Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
der abendländischen Kategorien, das helle Bewußtsein. Statt dessen würde das ewig
Asiatische übrigbleiben: die despotische Form des Daseins, die Geschichtslosigkeit und
Entscheidungslosigkeit, die Stabilisierung des Geistes in Fatalismen. Asien wäre das
Universelle, Bestehende, Überdauernde, das Europa einschließt. Was sich aus Asien
heraus gestaltet und in Asien zurücksinken muß, ist das Vorübergehende.
Aber solche kontrastierenden Bilder mit den Untergangsvisionen haben vielleicht
einen Augenblick einmal eine Evidenz. Sie sind in der Tat unwahr und ungerecht.
97 | Die chinesischen und indischen Wirklichkeiten seit dreitausend Jahren sind
ebenso sehr Versuche des Auftauchens aus jenem unbestimmten asiatischen Grunde.
Das Auftauchen ist ein universeller geschichtlicher Prozeß, nicht ein eigentümliches
Verhalten Europas zu Asien. Es geschieht in Asien selber. Es ist der Weg der Mensch-
heit und der eigentlichen Geschichte.
Man macht aus Asien ein mythisches Prinzip, das bei realistischer Analyse als ge-
schichtliche Wirklichkeit zerfällt. Der Gegensatz Europa-Asien darf nicht metaphy-
sisch hypostasiert werden. Dann wird er zum Schreckgespenst. Als mythische Sprache
im Augenblick von Entscheidungen dient es wie eine Chiffre,36 die eine Wahrheit nur
dann hat, wenn sie für etwas geschichtlich Konkretes und geistig Helles als abkürzen-
des Zeichen dient und nicht als Erkenntnis des Ganzen gemeint ist. Aber Asien-Eu-
ropa ist eine Chiffre, die die ganze abendländische Geschichte begleitet.
| 8. Noch einmal:
Schema der Weltgeschichte
Bevor wir uns der Gegenwart zuwenden, werfen wir noch einmal einen Blick auf das
Ganze der Geschichte, wie es sich uns strukturiert hat. Die Gesamtgeschichte gliedert
sich in drei einander folgende Phasen: Vorgeschichte, Geschichte, Weltgeschichte:
1) Die lange Vorgeschichte umfaßt das Werden des Menschen über die Sprach- und
Rassenbildungen bis zum Anfang der geschichtlichen Kulturen. Sie führt uns in das
Geheimnis des Menschseins, zum Bewußtsein der Einzigartigkeit des Menschen auf
der Erde, vor die Frage nach unserer Freiheit, die mit dem Ursprung aller Dinge Zusam-
menhängen muß, und die uns in der Welt nirgends sonst begegnet.
2) Die Geschichte umfaßt die Ereignisse von rund fünftausend Jahren in China, In-
dien und dem vorderen Orient mit Europa. China und Indien, nicht das gesamte geo-
graphische Asien, sind Europa an die Seite zu stellen.