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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0127
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

universaler Wissenschaftlichkeit; es gibt den breiten Strom der Vermischungen von
Wissenschaft mit unwissenschaftlichen Elementen. Aber die eigentliche Wissen-
schaftlichkeit, die universale Erkenntnishaltung, die verläßliche methodische Kritik,
das reine, forschende Erkennen ist in unserer Welt nur eine schmale Linie im Gewirr
der Verkehrungen.
Wissenschaft ist nicht ohne weiteres zu erwerben. Die überwältigende Mehrzahl
der Menschen hat von Wissenschaft noch kaum eine Ahnung. Das ist der Bruch im
Bewußtsein unseres Zeitalters. Die Wissenschaft ist nur wenigen Menschen eigen. Sie
ist ein Grundzug des Zeitalters und doch mit ihrem eigentlichen Wesen noch geistig
ohnmächtig, weil die Masse der Menschen nicht in sie eintritt, wenn sie sich der tech-
nischen Ergebnisse bemächtigt oder abfragbare Lernbarkeiten dogmatisch aufnimmt.
Wissenschaft hat in unserem Zeitalter ein ungeheures Ansehen genossen. Man er-
wartete alles von ihr: die durchdringende Erkenntnis allen Seins und Hilfe in aller Not.
Die falsche Erwartung ist der Wissenschaftsaberglaube,48 die folgende Enttäuschung
führt zur Wissenschaftsverachtung. Das dunkle Sichverlassen auf etwas, über das man
Bescheid wisse, ist Aberglaube, die Erfahrung des Versagens führt zur Verachtung des
Wissens. Beides hat mit der Wissenschaft selbst nichts zu tun. So ist zwar Wissenschaft
die Signatur des Zeitalters, aber in einer Gestalt, in der sie nicht mehr Wissenschaft ist.
Der Weg dieses Irrens ist folgender: Im Forschen machen wir die Voraussetzung von
125 der Erkennbarkeit der Welt. Denn ohne | diese Voraussetzung wäre jede Forschung
sinnlos. Aber diese Voraussetzung kann zweierlei bedeuten: erstens die der Erkennbar-
keit von Gegenständen in der Welt, zweitens die der Erkennbarkeit der Welt im Gan-
zen. Nur die erste Voraussetzung trifft zu, und man kann nicht wissen, wie weit man
mit dem Erkennen in der Welt noch kommen wird. Die zweite Voraussetzung dagegen
trifft nicht zu. Daß sie falsch ist, zeigt sich an radikalen Schwierigkeiten, welche zwar
der inhaltlichen Forschung keine Schranken setzen, wohl aber die Grenze des Wissens
zeigen, nämlich die Grenze, daß die Welt im Ganzen als eine einzige geschlossene sich
dem Erkennen nicht nur entzieht, sondern daß es die Welt im Sinne widerspruchs-
loser Denkbarkeit und Erfahrbarkeit für uns überhaupt nicht gibt. Diese Grenzen wer-
den deutlich, wenn man die falsche Voraussetzung von der Erkennbarkeit des Welt-
ganzen am Tatbestand der Forschung scheitern sieht. Die Einsicht in den Irrtum ist gar
nicht leicht. Der Irrtum ist in der modernen Wissenschaft als vermeintlicher Philoso-
phie angelegt und seit Descartes vollzogen. Es ist daher heute noch die große und drin-
gende Aufgabe, Sinn und Grenze der modernen Wissenschaft rein zu erfassen.
Eine verführende Folge der falschen Wissenschaftsauffassung, daß die Welt im
Ganzen und im Prinzip erkennbar sei, ist gewesen, daß man sie grundsätzlich als für
schon erkannt hielt. Die Meinung entstand, es sei nur Sache des guten Willens, nun-
mehr auf Grund der Erkenntnis für die Menschheit die richtige Welteinrichtung her-
zustellen, die einen Dauerzustand von Wohlfahrt und Glück ermöglichte. Damit ist
in den letzten Jahrhunderten ein neues Phänomen in die Geschichte getreten. Der
 
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