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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0227
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

Menschen wären wieder abgerissen, die Technik am Ende, das Leben angewiesen auf
die primitiven jeweils lokalen Möglichkeiten, unter verzehrenden Mühen in höchster
Not bei vitaler Kraft und Jugendlichkeit gerade noch sich zu erhalten. Dieses Ende
würde eintreten, wenn ein Krieg in seinen Folgen den Bau der Technik zertrümmerte,
wenn die Rohstoffe verzehrt wären, ohne daß Ersatz gefunden sein würde, wenn der
Krieg nicht aufhörte, sondern sich gleichsam zerkrümelte in die immer engeren loka-
len Feindseligkeiten, wie sie als ständiger Krieg vor der Geschichte stattfanden.
25p | Der Sinn des Kriegs hat im Laufe der Geschichte sich gewandelt. Es gab Kriege als
ritterliches Spiel von Aristokratien mit Regeln dieses Spiels. Es gab Kriege zur Entschei-
dung einer Frage mit rechtzeitigem Ende ohne Einsatz aller organisierbaren Kräfte. Es
gab Ausrottungskriege.
Es gab Bürgerkriege und Kabinettskriege zwischen Nationen, die als europäische
doch noch irgendwo solidarisch blieben. Es gab Kriege zwischen sich fremden Kultu-
ren und Religionen von gesteigerter Erbarmungslosigkeit.
Heute scheint der Krieg verwandelt durch das Ausmaß seiner Mittel, die Größe sei-
ner Folgen. Sein Sinn ist ein anderer geworden:
1) Was an Äußerstem schon in historischen Zeitaltern vorgebildet war, scheint sich
zusammenfassen zu können in dem Grade, daß überhaupt keine mäßigenden Tenden-
zen im Kriege mehr übrigbleiben. Hitlerdeutschland hat zum erstenmal im techni-
schen Zeitalter grundsätzlich den Weg betreten, auf dem dann notwendig die Ande-
ren folgten. Es droht nun ein Krieg, der mit dem technischen Zeitalter unter Aufhebung
aller Bindungen in der Tat so andersartig wird, daß Ausrottung und Deportationen,
die es in gewissem Umfang auch schon früher bei Assyrern und bei den Mongolen
gegeben hat, noch nicht ausreichen, das Unheil ganz zu charakterisieren.
Auf diese unbeherrschte Totalität eines Krieges hin, ohne Maßsetzung in den Mit-
teln wirkt der Zusammenhang von Totalplanung und Krieg. Eins treibt das andere her-
vor. Macht, die sich zur absoluten Überlegenheit steigern will, muß zur Totalplanung
tendieren. Da diese aber die wirtschaftliche Blüte herabsetzt, wird der Zeitpunkt er-
reicht eines Optimums der Rüstung. Der Krieg wird erzwungen durch die innere Ent-
wicklung, die bei fortdauerndem Frieden zur Schwächung führen würde.
Auf die Dauer scheint Reichtum, Fortschritt und Kraft bei der Freiheit, für eine
kurze Weile aber und für einen Augenblick ist die Übermacht bei der Totalplanung und
der terroristischen Gewalt mit ihrer Organisation aller Kräfte einer Bevölkerung für
das vernichtende Glücksspiel, in dem der Einsatz unbegrenzt ist.
Der Weg der Welt scheint auf solche Katastrophen zu führen, deren Folgen in An-
260 archie und Elend nicht auszumalen sind. | Eine Rettung ist nur durch eine Rechtsord-
nung der Welt, die Macht hat, den Frieden zu bewahren, weil jeder Gewaltakt ohne
Chancen gegenüber ihrer Übergewalt wäre und als Verbrechen behandelt würde.
2) Wenn der Krieg sein muß, dann ist das Interesse der Weltgeschichte, was für
Menschen es sind, die siegen; ob die bloße Gewalt oder ein Menschentypus, der aus
 
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