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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0254
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

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die Geschichte begonnen hat? Es sind Fragen, die durch ihre Unbeantwortbarkeit ein
Rätsel bewußt machen.
Es ist dieses Grundfaktum unseres Daseins, daß wir isoliert scheinen im Kosmos.
Nur wir sind redende Vernunftwesen in dem Schweigen des Weltalls. In der Ge-
schichte des Sonnensystems ergibt sich die bisher verschwindend kurze Weile eines
Zustandes, in dem auf der Erde Menschen das Wissen um sich und das Sein ent-
falten und vollziehen. Nur hier ist diese Innerlichkeit eines Sichverstehens. Wir ken-
nen wenigstens keine andere Realität des Innerlichen. Innerhalb des grenzenlosen
Kosmos auf einem winzigen Planeten in einer winzigen Zeit von ein paar Jahrtausen-
den findet etwas statt, als ob dieses das Allumgreifende, das Eigentliche wäre. Die-
ses ist die Stätte, die im Kosmos wie nichts ist, an der mit dem Menschen das Sein
erwacht.
Aber dieser Kosmos ist das Dunkel des umgreifenden Seienden, in dem, aus dem,
durch das geschieht, was wir sind, und was selber in seiner Herkunft unbegriffen ist.
Dieses Dunkel zeigt als Ganzes uns nur den Vordergrundsaspekt des von der Astro-
nomie und Astrophysik erforschten leblosen Geschehens, das in seinen phantasti-
schen Größen uns doch plötzlich kaum mehr ist, als ein Staubwölkchen im Zimmer,
das durch Sonnenglanz leuchtet. Es muß der Kosmos unendlich mehr sein, als dieser
Vordergrundsaspekt der Erforschbarkeit, ein tieferes, als das ist, was sich begonnen
hat zu enthüllen, nämlich das, was unser menschlich-geschichtliches Offenbarwer-
den aus sich hervorbringt.
Für unser Erdendasein ist jedoch ein anderer Abgrund erreicht. Mit der Zugäng-
lichkeit des Planeten als eines Ganzen ist der räumliche Weg verschlossen. Bis dahin
konnte der Mensch wandern, in unbekannte Fernen ziehen und konnte leben auf dem
Hintergrund dieser Fernen, die im Grenzenlosen seinem Fuß doch zugänglich blieben,
wenn es ihn forttrieb. Jetzt ist das Haus unseres Daseins abgeschlossen, in seiner Größe
genau bekannt, für Plan und Tat als Ganzes ins Auge zu fassen. Aber dieses Ganze ist
radikal isoliert im Weltall. Durch die Gegenwärtigkeit dieser Situation verdichtet sich
gleichsam das Menschliche auf Erden. Es ist nach außen in einem geistig scheinbar
leeren Weltraum, der ihm für immer unbetretbar erscheint, durch die Isolierung eine
nur in sich bezogene Wirklichkeit des Sichverstehens. | Diese Isolierung im Kosmos ist
eine reale Grenze der Geschichte. Bisher gehen nur leere Vorstellungen und unerfüll-
bare Möglichkeiten vergeblich darüber hinaus mit der Frage: Gibt es Leben und Geist,
gibt es Vernunftwesen auch sonst in der Welt?
Man gibt negative Antworten:
a) Die unerläßlichen Lebensbedingungen sind in dem fast leeren, kältestarren, hier
und dort in weitesten Entfernungen von glühenden Massen erfüllten Weltraum ein
Zufall. Auf den anderen Planeten unseres Sonnensystems ist Leben entweder nicht
möglich oder nur niederes pflanzliches Leben. Daß es in anderen Sonnensystemen Pla-
neten gibt vom Charakter der Erde, ist nicht absolut ausgeschlossen, aber unwahr-

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