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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0273
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

so ist die Idee der Einheit der Geschichte unumgänglich. Es ist nur die Frage, wie sie
ergriffen wird.
Wir haben eine lange Reihe von Negationen vollzogen: Die Einheit der Geschichte
ist nicht durch Wissen zu erfassen. Sie ist nicht erkennbar als Einheit des biologi-
schen Ursprungs des Menschen. Sie ist als Einheit der Erdoberfläche und als um-
schlossen von der gemeinsamen realen Zeit nur eine äußerliche Einheit. Die Einheit
des allumfassenden Ziels ist nicht zu zeigen. Die Idee der Weltordnung des Rechts
richtet sich auf menschliche Daseinsgrundlagen, nicht auf den Sinn der Geschichte
im Ganzen, und ist selbst noch eine Frage. Die Einheit ist nicht durch Bezug auf die
322 Identität der einen allgemeingültigen Wahrheit zu | begreifen, denn diese Einheit
bezieht sich nur auf den Verstand. Sie ist nicht der Fortschritt auf ein Ziel zu oder
in einem ins Unendliche sich steigernden Prozeß. Die Einheit ist nicht schon durch
das hellste Bewußtsein, nicht in der Höhe geistiger Schöpfung. Sie liegt nicht in ei-
nem Sinn, auf den hin alles geschieht oder geschehen sollte. Einheit ist auch nicht
als der gegliederte Organismus eines Ganzen der Menschheit zu erblicken. Das
Ganze der Geschichte ist weder als Wirklichkeit noch als Sinn in einer Vision wahr-
haft gegenwärtig.
Wer dem Übermut vermeintlich allumfassenden Begreifens der Geschichte als Ein-
heit nicht folgt, wird doch in allen diesen Bemühungen um Einheit einen Zug von
Wahrheit sehen. Falsch wird dieser, wenn eine Übertragung von Partikularem auf das
Ganze stattfindet. Wahr bleibt er als Hinweis und Zeichen.
Jede Entwicklungslinie, jede typische Gestalt, alle Tatbestände von Einheiten sind
Vereinfachungen innerhalb der Geschichte, die falsch werden, wenn sie die Ge-
schichte in ihrer Totalität durchschauen wollen. Es kommt darauf an, die Vielfachheit
dieser Linien, Gestalten, Einheiten zu erfassen, aber offen zu bleiben für das darüber
Hinausliegende, in dem diese Phänomene stattfinden, offen zu bleiben für den Men-
schen und für das jederzeitige Ganze des Menschseins, das allumgreifend in sich trägt,
was doch bei aller Großartigkeit immer nur eine Erscheinung unter anderen ist.
Es bleibt der Anspruch der Idee der Einheit. Wir haben die Universalgeschichte als
Aufgabe.
a) Zum mindesten bleibt eine »Übersicht« über alles menschliche Geschehen in al-
ler Welt. In der Alternative zwischen zerstreuter Vereinzelung und wesentlicher Zen-
trierung wird keines von beiden Extremen akzeptiert, aber eine sachgemäße konstruk-
tive Ordnung der Gesamtgeschichte gesucht. Wenn auch jede Konstruktion der
Einheit der Geschichte immer im Wissen das abgründige Nichtwissen fühlbar machen
wird, so ist doch der Weg der Ordnung unter der Idee einer Einheit möglich.
 
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