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Karl Jaspers - Storm
abgesehen von einigen Aufsätzen. Sophistik zusammen mit bedenkenloser Rücksichts-
losigkeit hat in der Öffentlichkeit heute immer den Vorteil: Man kann sich nicht als
Angegriffener hineinziehen lassen, ohne die Sensation zu vermehren, für sie benutzt
zu werden und neue Verdrehungen erdulden zu müssen. Daher schweige ich. Der übri-
gens harmlose Brief an die Rhein-Neckar-Zeitung in Heidelberg, in dem ich eine Auf-
forderung zur Äusserung ablehnte, ist ohne meinen Willen und gegen meine Absicht
publiciert worden:1068 auch das ein Symptom heutiger Pressesitten. Aber was hilft es!
Man kann nicht abseits auf dem Mond leben.
Mit herzlichem Gruss und besten Wünschen für baldige Genesung.
Ihr Karl Jaspers
474 Wolf Hermann an Karl Jaspers
Typoskript; Durchschlag: DLA, A: Hermann
7.12. 49
Sehr verehrter Herr Professor!
Vielen Dank für Ihren Brief vom [4.] 12., den ich gestern erhielt. Leider habe ich nicht
die Adresse Ihres Neffen.1069 Wenn ich auch annehme, dass er über Ihre Schwester zu
erreichen ist, so halte ich es doch für ordnungsgemässer, die Überweisung an ihn zu
adressieren. Sobald ich Ihren Bescheid habe, werde ich DM 500.- gleich überweisen.
Die Exemplare für Frau Erna Dugend und Fräulein Dr. M. Salditt und die für Sie
sende ich Ende der Woche, da ich dann eine neue Bindequote erwarte. Ich habe we-
gen der geringen Vorbestellungen sehr vorsichtig disponiert.
Der bisherige schlechte Absatz hängt vor allem mit dem allgemeinen Absatzrück-
gang und der wirtschaftlich schwierigen Lage zusammen. Gerade die Kreise, an die
sich Bücher dieser Art wenden, sind von der Währungsreform und allem, was damit
zusammenhängt, am härtesten betroffen und besitzen die geringste Kaufkraft. Die
Sortimentsbuchhändler sitzen meist auf unverkäuflichem und zum Teil noch nicht
bezahltem Lager vom vorigen Jahr. In gewisser Weise haben sich die Verhältnisse zu
schnell gebessert und normalisiert. Die Ansprüche des Publikums an die Ausstattung
der Bücher sind in einer Weise gestiegen, die einem Volke, das einen Krieg verloren
hat, ganz unangemessen sind. Die Produktion bis zum Frühjahr dieses Jahres ist heute
praktisch so gut wie unverkäuflich; das bedeutet für Verlag und Sortiment einen un-
geheuren Substanzverlust. Man kann es dem Buchhändler unter diesen Umständen
nicht einmal so sehr verdenken, wenn er nur das ganz Sichere auf Lager nimmt, und
zwar den Bestseller, und dass er darüber seine eigentliche Aufgabe, Mittler geistigen
und kulturellen Lebens zu sein, vergisst. Ungünstig wirkt sich in diesem Falle auch
das gleichzeitige Erscheinen Ihres Buches »Vom Ursprung und Ziel der Geschichte«
Karl Jaspers - Storm
abgesehen von einigen Aufsätzen. Sophistik zusammen mit bedenkenloser Rücksichts-
losigkeit hat in der Öffentlichkeit heute immer den Vorteil: Man kann sich nicht als
Angegriffener hineinziehen lassen, ohne die Sensation zu vermehren, für sie benutzt
zu werden und neue Verdrehungen erdulden zu müssen. Daher schweige ich. Der übri-
gens harmlose Brief an die Rhein-Neckar-Zeitung in Heidelberg, in dem ich eine Auf-
forderung zur Äusserung ablehnte, ist ohne meinen Willen und gegen meine Absicht
publiciert worden:1068 auch das ein Symptom heutiger Pressesitten. Aber was hilft es!
Man kann nicht abseits auf dem Mond leben.
Mit herzlichem Gruss und besten Wünschen für baldige Genesung.
Ihr Karl Jaspers
474 Wolf Hermann an Karl Jaspers
Typoskript; Durchschlag: DLA, A: Hermann
7.12. 49
Sehr verehrter Herr Professor!
Vielen Dank für Ihren Brief vom [4.] 12., den ich gestern erhielt. Leider habe ich nicht
die Adresse Ihres Neffen.1069 Wenn ich auch annehme, dass er über Ihre Schwester zu
erreichen ist, so halte ich es doch für ordnungsgemässer, die Überweisung an ihn zu
adressieren. Sobald ich Ihren Bescheid habe, werde ich DM 500.- gleich überweisen.
Die Exemplare für Frau Erna Dugend und Fräulein Dr. M. Salditt und die für Sie
sende ich Ende der Woche, da ich dann eine neue Bindequote erwarte. Ich habe we-
gen der geringen Vorbestellungen sehr vorsichtig disponiert.
Der bisherige schlechte Absatz hängt vor allem mit dem allgemeinen Absatzrück-
gang und der wirtschaftlich schwierigen Lage zusammen. Gerade die Kreise, an die
sich Bücher dieser Art wenden, sind von der Währungsreform und allem, was damit
zusammenhängt, am härtesten betroffen und besitzen die geringste Kaufkraft. Die
Sortimentsbuchhändler sitzen meist auf unverkäuflichem und zum Teil noch nicht
bezahltem Lager vom vorigen Jahr. In gewisser Weise haben sich die Verhältnisse zu
schnell gebessert und normalisiert. Die Ansprüche des Publikums an die Ausstattung
der Bücher sind in einer Weise gestiegen, die einem Volke, das einen Krieg verloren
hat, ganz unangemessen sind. Die Produktion bis zum Frühjahr dieses Jahres ist heute
praktisch so gut wie unverkäuflich; das bedeutet für Verlag und Sortiment einen un-
geheuren Substanzverlust. Man kann es dem Buchhändler unter diesen Umständen
nicht einmal so sehr verdenken, wenn er nur das ganz Sichere auf Lager nimmt, und
zwar den Bestseller, und dass er darüber seine eigentliche Aufgabe, Mittler geistigen
und kulturellen Lebens zu sein, vergisst. Ungünstig wirkt sich in diesem Falle auch
das gleichzeitige Erscheinen Ihres Buches »Vom Ursprung und Ziel der Geschichte«