Reutlingen
um Anfang und Ende, also die beiden Hälften desselben Schriftstückes handelt: Beide Teile stammen von
derselben Schreiberhand, bei beiden finden sich gleichartige Randbemerkungen zu Wochentagen und Schul-
stunden.
Die Angaben zur musikalischen Gestaltung der Gottesdienste lassen auf ein reiches Musikleben in der
Reichsstadt schließen. Bereits im 15. Jahrhundert besaß die Marienkirche eine Orgel.70 Nach der Reutlinger
Kirchenordnung (Nr. 2) unterstand die gesamte Kirchenmusik der Aufsicht der zwölf Religionsverwal-
ter.71 Diese war offenbar nach dem Interim nicht mehr strikt durchgeführt worden, denn in der Schulord-
nung wird beklagt, dass mit dem gesang in der kirchen bißanher vil und mancherlay fäll und mängel zu
beklagen seien, so hinfurther zuleiden nit erbawlich, sonder nachthaillig, wogegen man mit der Ordnung des
Kirchengesangs vorgehen wolle.
Die Ordnung beschreibt die genaue Abfolge, in der die Schüler bei den Gottesdiensten zu singen hatten.
Am Schluss des Textes ist eine Liste mit 37 Liedern angehängt, die in Reutlingen einst gemain und bekant
waren und nach längerer Unterbrechung nun wieder im Gottesdienst gesungen werden sollten. Das intensive
Bemühen des Reutlinger Rates um die Kirchenmusik lässt sich bis ins 18. Jahrhundert hinein verfolgen.72
4. Zuchtordnung 26. Mai 1573 (Text S. 52)
Bereits 1534 hatte man in Reutlingen über eine Zucht- und Eheordnung beraten, wie ein überliefertes
einzelnes Blatt mit Notizen vom 3. August dieses Jahres nahelegt.73 Nach dem Vorschlag Dr. Ludwig
Hierters sollte ein obrigkeitliches Ehegericht eingerichtet werden, bestehend aus einem Eherichter mit sechs
Beisitzern, drei aus dem Rat und drei aus der Gemeinde. Ein Vertreter der Geistlichkeit war ausdrücklich
nicht für dieses Gremium vorgesehen. Als Appellationsinstanz fungierte der Rat, der das gesamte Kirchen-
regiment in Händen halten sollte:74
Doctors furschlag in ehegericht: Das ain eherichter verordnet und darnach die beisitzer, damit die jhenigen, so
zehandeln hetten, allein zun eherichtern gegen und geloffen were. Item 2 beisitzer dazu verordnen. Item, das auch
der eherichter gwalt hat, die partheien fur gericht zu bschaiden. Zum andern, das kain predicant darbei ist und
das 3 uß 1 rath, 3 uß der gemaind erwelt und der eherichter uß dem rath, das weren siben personen. Begegneten
inen sachen, so inen zuschwer weren, hetten sie ain rath, volgends ain rath die predicanten. Und wa man dan der
rechtgelerten haben mußt, möchte man dieselben auch wol bekhommen. Diser furschlag sol ainem rath furgehalten
werden.75
Welche Entscheidung der Rat 1534 bezüglich Hierters Entwürfen zum Ehegericht traf, ist nicht
bekannt. Die Beratungen über eine Zucht- und Eheordnung, die auch Artikel zu Fluchen, Gotteslästerung,
Hurerei, Glücksspiel und Zutrinken umfassen sollte, wurden mit Hilfe einer anderen, jedoch nicht genann-
ten Ordnung geführt, auf die man sich mehrfach bezog: Deutliche inhaltliche Parallelen deuten darauf hin,
dass die Esslinger Zuchtordnung von 153276 herangezogen worden war.
70 Krauss, Frischlin-Chronik, S. 132:
Die orgel in der mitten hangt,
und ob dem predigstul sie brangt,
mit schönen farben gstrichen an,
daß meniglich sie sehen kan,
zum gsang sie herrlich stimmet fein,
und sonsten, wann mans schlägt allein,
giebt sie ein schönen wiederhall,
die kürche erfüllet überall.
Vgl. Mall, Vergangenheit, S. 59.
71 So sollen nun auff sollichs die schulmaister mit iren knaben
kein lied noch gesanng in der kirchen singen, es sey dann
zuvor von den eltesten unnd predicanten examiniert und
ersucht, ob es der schrifft gemeß unnd zur bösserung dienst-
lich und fürderlich sey, siehe unten, S. 42.
72 Mall, Kirchenmusik, S. 39-45.
73 HStaatsA Suttgart B 201 Bü 8.
74 Betz, Reformation in Reutlingen, S. 110; Köhler,
Ehegericht II, S. 278; Hartmann, Alber, S. 122f.
75 HStaatsA Stuttgart B 201, Bü 8.
76 Siehe unten, S. 335 Nr. 5.
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um Anfang und Ende, also die beiden Hälften desselben Schriftstückes handelt: Beide Teile stammen von
derselben Schreiberhand, bei beiden finden sich gleichartige Randbemerkungen zu Wochentagen und Schul-
stunden.
Die Angaben zur musikalischen Gestaltung der Gottesdienste lassen auf ein reiches Musikleben in der
Reichsstadt schließen. Bereits im 15. Jahrhundert besaß die Marienkirche eine Orgel.70 Nach der Reutlinger
Kirchenordnung (Nr. 2) unterstand die gesamte Kirchenmusik der Aufsicht der zwölf Religionsverwal-
ter.71 Diese war offenbar nach dem Interim nicht mehr strikt durchgeführt worden, denn in der Schulord-
nung wird beklagt, dass mit dem gesang in der kirchen bißanher vil und mancherlay fäll und mängel zu
beklagen seien, so hinfurther zuleiden nit erbawlich, sonder nachthaillig, wogegen man mit der Ordnung des
Kirchengesangs vorgehen wolle.
Die Ordnung beschreibt die genaue Abfolge, in der die Schüler bei den Gottesdiensten zu singen hatten.
Am Schluss des Textes ist eine Liste mit 37 Liedern angehängt, die in Reutlingen einst gemain und bekant
waren und nach längerer Unterbrechung nun wieder im Gottesdienst gesungen werden sollten. Das intensive
Bemühen des Reutlinger Rates um die Kirchenmusik lässt sich bis ins 18. Jahrhundert hinein verfolgen.72
4. Zuchtordnung 26. Mai 1573 (Text S. 52)
Bereits 1534 hatte man in Reutlingen über eine Zucht- und Eheordnung beraten, wie ein überliefertes
einzelnes Blatt mit Notizen vom 3. August dieses Jahres nahelegt.73 Nach dem Vorschlag Dr. Ludwig
Hierters sollte ein obrigkeitliches Ehegericht eingerichtet werden, bestehend aus einem Eherichter mit sechs
Beisitzern, drei aus dem Rat und drei aus der Gemeinde. Ein Vertreter der Geistlichkeit war ausdrücklich
nicht für dieses Gremium vorgesehen. Als Appellationsinstanz fungierte der Rat, der das gesamte Kirchen-
regiment in Händen halten sollte:74
Doctors furschlag in ehegericht: Das ain eherichter verordnet und darnach die beisitzer, damit die jhenigen, so
zehandeln hetten, allein zun eherichtern gegen und geloffen were. Item 2 beisitzer dazu verordnen. Item, das auch
der eherichter gwalt hat, die partheien fur gericht zu bschaiden. Zum andern, das kain predicant darbei ist und
das 3 uß 1 rath, 3 uß der gemaind erwelt und der eherichter uß dem rath, das weren siben personen. Begegneten
inen sachen, so inen zuschwer weren, hetten sie ain rath, volgends ain rath die predicanten. Und wa man dan der
rechtgelerten haben mußt, möchte man dieselben auch wol bekhommen. Diser furschlag sol ainem rath furgehalten
werden.75
Welche Entscheidung der Rat 1534 bezüglich Hierters Entwürfen zum Ehegericht traf, ist nicht
bekannt. Die Beratungen über eine Zucht- und Eheordnung, die auch Artikel zu Fluchen, Gotteslästerung,
Hurerei, Glücksspiel und Zutrinken umfassen sollte, wurden mit Hilfe einer anderen, jedoch nicht genann-
ten Ordnung geführt, auf die man sich mehrfach bezog: Deutliche inhaltliche Parallelen deuten darauf hin,
dass die Esslinger Zuchtordnung von 153276 herangezogen worden war.
70 Krauss, Frischlin-Chronik, S. 132:
Die orgel in der mitten hangt,
und ob dem predigstul sie brangt,
mit schönen farben gstrichen an,
daß meniglich sie sehen kan,
zum gsang sie herrlich stimmet fein,
und sonsten, wann mans schlägt allein,
giebt sie ein schönen wiederhall,
die kürche erfüllet überall.
Vgl. Mall, Vergangenheit, S. 59.
71 So sollen nun auff sollichs die schulmaister mit iren knaben
kein lied noch gesanng in der kirchen singen, es sey dann
zuvor von den eltesten unnd predicanten examiniert und
ersucht, ob es der schrifft gemeß unnd zur bösserung dienst-
lich und fürderlich sey, siehe unten, S. 42.
72 Mall, Kirchenmusik, S. 39-45.
73 HStaatsA Suttgart B 201 Bü 8.
74 Betz, Reformation in Reutlingen, S. 110; Köhler,
Ehegericht II, S. 278; Hartmann, Alber, S. 122f.
75 HStaatsA Stuttgart B 201, Bü 8.
76 Siehe unten, S. 335 Nr. 5.
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