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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Arend, Sabine [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (17. Band, 2. Teilband = Baden-Württemberg, 4): Reutlingen, Ulm, Esslingen, Giengen, Biberach, Ravensburg, Wimpfen, Leutkirch, Bopfingen, Aalen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.30657#0093
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Einleitung

Professor für Theologie in Heidelberg und 1530/31Rektor der Universität. Im September 1531 folgte
Frecht dem Ruf des Rates, in seiner Heimatstadt als Lektor der Heiligen Schrift tätig zu sein.13 Die
Entscheidung des Magistrats für den Lutheranhänger Frecht, mit dem die Reformation in Ulm eine neue
Ausrichtung erhielt, war politisch motiviert: Das Gros der südwestdeutschen Reichsstädte tendierte inzwi-
schen in lutherische Richtung,138 und die Ulmer Führung schloss sich mit Frechts Berufung dieser Mehrheit
an.
Martin Frecht befürwortete die Wittenberger Konkordie, mit der Bucer am 29. Mai 1536 nach langem
Ringen eine Verständigung zwischen den Anhängern Luthers und Zwinglis erzielt hatte. Er unterzeichnete
das Bekenntnis im Namen des Ulmer Rates,139 der es der Bevölkerung anschließend verkünden ließ.140
Gegen den anfänglichen Widerstand in der Bevölkerung vollzog Martin Frecht bis zum Interim (1548) den
allmählichen Übergang der Ulmer Reformation von der schweizerisch-oberdeutschen zur Wittenberger Aus-
richtung der Theologie.141 Daneben festigte er die evangelische Lehre gegenüber den Täufern sowie den
Spiritualisten Sebastian Franck (1494-1542) und Kaspar von Schwenckfeld (1489-1561), die beide in den
1530er Jahren in Ulm aktiv waren.142

7. Ehegerichtsordnung 8. April 1534 (Text S. 184)
Im Zuge der Reformation wurde auch eine Neuordnung des Eherechts erforderlich, da durch Außerkraft-
setzung des kanonischen Rechts erhebliche Unsicherheiten vor allem in Ehescheidungsfragen aufgekommen
waren.143 Bereits die 18 Artikel enthielten die Forderung, das päpstliche Eherecht künftig nicht mehr zu
akzeptieren,144 Richtschnur sollte allein die Bibel sein. Auch in die Kirchenordnung (Nr. 5) und die Agende
(Nr. 6) wurden Bestimmungen zu den Modalitäten der Eheschließung aufgenommen. Daneben hatte der
Ulmer Rat von Bucer zwei Gutachten145 zum Eherecht angefordert, die dieser - basierend auf der Ulmer
Denkschrift vom 2. Juni 1531146 - anfertigte und dem Rat spätestens am 22. Juni vorlegte.147 1533 verfasste
Bucer für Ulm ein weiteres umfangreiches Gutachten zum Thema Eheschließung und -scheidung.148
Von Eherichtern ist in Ulm erstmals in der Denkschrift vom Juni 1531 die Rede.149 Das Ulmer Ehegericht
war zunächst eine dem Stadtgericht angegliederte Institution, die sich am 27. Oktober 1533 als selbständige
Einrichtung konstituierte. Als Eherichter fungierten die vier Prädikanten der Stadt sowie der Prediger im
Spital, dazu bis zu zwei Personen aus dem Rat oder solche, die dieserbestimmte.150 In diesem eigenständigen

137 Bucer, Briefwechsel VI, S. 166 Anm. 12.
138 In zwinglianische Richtung orientierten sich Straßburg,
Memmingen, Lindau, Konstanz und Isny.
139 Specker/Weig, Einführung, S. 198f.
140 StadtA Ulm U 5204, Ratsvorhalt, und StadtA Ulm A
3530, Ratsprotokoll Bd. 13 fol. 202, Eintrag vom
30. Oktober 1536; vgl. Waldenmaier, Gottesdienst-
ordnungen, S.112-114.
141 Specker/Weig, Einführung, S. 196f.
142 Sebastian Franck ließ sich 1534 in Ulm nieder, wurde
1539 der Stadt verwiesen und ging nach Basel, Spek-
ker/Weig, Reformation, S. 206f.; Hegler, Francks
Aufenthalt in Ulm, S. 113-216; Endriss, Francks
Ulmer Kämpfe, S. 1-46; BBKL II, Sp. 82-85. Kaspar
von Schwenckfeld kam 1535 nach Ulm. Auch er verließ
1539 auf Druck des Ulmer Rates die Stadt. Zu
Schwenckfeld siehe BBKL IX, Sp. 1215-1235; TRE 30,
S. 712-719 mit weiterführender Literatur; zu Schwenck-
felds Aufenthalt in Ulm siehe Endriss, Schwenckfelds
Ulmer Kämpfe, S. 5-66; Weber, Schwenckfeld, S. 8-11.
Vgl. auch Specker/Weig, Einführung, S. 205-210;

Specker, Ulm, S. 127-129; Hegler, Zwei Briefe,
S. 97-108.
143 Vgl. Hesse, Ehescheidungsrecht, S. 29-40.
144 Siehe unten, S. 131 Artikel 18.
145 Erstes Gutachten: StadtA Ulm A [8983/I], fol. 246r-259v
und gleichzeitige Abschrift StadtA Strasbourg, AST 167
(Varia ecclesiastica II), fol. 106r-119r, abgedruckt bei
Bucer, Deutsche Schriften 10, Nr. 6, S. 77-94. Zu Vor-
geschichte und Überlieferung siehe ebd., S. 69-76. Zwei-
tes Gutachten: StadtA Ulm A [8983/I], fol. 242r-245r
und gleichzeitige Abschrift StadtA Strasbourg, AST 167
(Varia ecclesiastica II), fol. 100r-102v, abgedruckt bei
Bucer, Deutsche Schriften 10, Nr. 7, S. 98-102. Zu
Vorgeschichte und Überlieferung ebd., S. 95-97.
146 Siehe oben, S. 70.
147 Bucer, Deutsche Schriften 10, S. 70f.; Köhler, Ehe-
gericht II, S. 52.
148 Abdruck ebd., Nr. 12, S. 174-404.
149 Siehe oben, S. 70 Anm. 109.
150 Köhler, Ehegericht II, S. 65; Bucer, Deutsche Schrif-
ten 10, S. 163f.

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