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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]; Arend, Sabine [Oth.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (17. Band, 2. Teilband = Baden-Württemberg, 4): Reutlingen, Ulm, Esslingen, Giengen, Biberach, Ravensburg, Wimpfen, Leutkirch, Bopfingen, Aalen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.30657#0119
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2. Ulmer Katechismus des Konrad Sam 1528/1536

ten die augen, etc. Wie geet es dann ymmer zu, lie-
be, frummen Christen, das wir, so den glast16 deß
liechts Götlicher erkantnus ersehen haben, an uns
selbs und an unsern kinden so hinlässig seind, die
schrifft zu leesen und zu leeren und will aber nichts
destmynder yeder vil wissen. Es ist zu fürchten, das
solcher närrischer wohn17 des vil wissens (darauß
dann volgt die groß verachtung aller Künst und ler-
nung, yetzt vor augen) in künfftig zeyt bringen
werd grossen mangel an recht gelerten leutten, den
irthumben und Ketzereyen zu wören. Ob aber vi-
leycht weder | der ernstlich bevelch Gottes, oben an-
gezaigt, noch die theuren Exempel der schrifft, von
denen yetzt gesagt, auch nitt die groß nutzbarkait
der seelen, so auß lernung der gschrifft entsteet,
helffen wolt an ettlichen flayschlich gesynneten, die
allain im todt zeytlicher und flayschlicher nutzbar-
kait wülen, Den muß ich zwu einreden, so von in
getriben werden, widerlegen.
Die erst ist, So sy sprechen: Auff was zuversicht solt
ich mein Sun zur lernung ziehen, was wurde ich doch
hindennach auß im machen, dieweil das Pfaffen-
thumb also abgeet?
Antwort: Bistu ain Christ, so begerstu freylich
auß deinem sun kainen Pfaffen zu machen. Bedarff
man aber darumb kainer leut mer, die etwas kün-
den? Ich acht ja, und vil mer dann vor, dieweil die
recht, gesund leer des Evangeliumß vil mer anstöß
und rechtvertigung erleyden muß dann des Bapsts
leer. Wie übel, mainst du, das wir mitt unsern kin-
dern verfaren werden, so sy schon nitt mer groß
Thumherrn und Pröbst werden und also fayst
Pfrienden überkommen? Wenn sy aber noch Leerer
und Prediger mügen geben, Solt sich deß ain Christ
nit mer frewen, dann so er etwa ain dollen Meß-
knecht gezogen hatt? Ja, Es solten billich in diser
Statt ain hundert junger zur studierung gehalten

16 Glanz, Schimmer.
17 Wahn.
18 Latein, Griechisch und Hebräisch.
19 Sehr.
20 Zu Erasmus von Rotterdam siehe TRE 10, S. 1-18 sowie
BBKL I, Sp. 1524-1532 mit weiterführender Literatur.
21 Zu Philipp Melanchthon siehe TRE 22, S. 371-410 sowie

werden, Damitt über nacht ain loblich Statt Ulm
sich selbs und ire Herrschafften mit recht geschaff-
nen leuten, die in yebung der schrift und sprachen
darzu auffgezogen wären, versehen und besetzen
möcht.
Die ander einred, so auch getriben wirt, Ist dise: Es
sey doch unmüglich, das in den gantzen jaren der
jugent die | drey sprachen18, wie man sy yetzund für-
nem und auch ich mit meiner schul understand, zu-
begreiffen.
Ist kürtzlich die antwurt: Nit mein allain, son-
der vil anderer gelerter dann ich, das fast19 wol müg-
lich, ja müglicher und leuchter, dann bißher das ai-
nig Latein gewest ist zulernen. Dann es wirt kain
verstendiger leugnen, das in kurtzen Jaren gar vil
liechts wie in anderen dingen also auch die kinder zu
underweysen in die welt kommen ist, durch gutte,
geschickte büchli, so Eraßmus20, Philippus21 und an-
der darzu gemacht haben, Nämlich das Latein bald
und wol zu begreiffen. Dieweil nun die andern zwu
auch gefaßt, Reguliert sprachen seind, so beut22 ye
aine der andern die hand durch die Grammatica,
Also das ainer, der das Latein ergriffen hatt, in den
andern zwayen schon die gröst arbayt überwunden
und schier das halb bevor hatt. Darumb so müßt
man (meins bedunckens) die sach also angreiffen:
Die Jungen flux in den kindsjaren, so die sunst nun
auff der gassen umblauffen und alle büberey lernen,
zu den Teutschen schulen halten, die man doch
fleyssig und gut hie findt23, Das sy daselbst fertig
lerten schreiben und leesen. Darnach, in welchen
man befund ain gute, gelirnige24 art, mit den selbi-
gen weyter gefaren. So wurde man sehen und innen
werden, das ain newn oder zehen järiger knab, ehe er
auff seine viertzehen oder sechtzehen jar keme, das
latein solt künden lesen, reden, schreyben nach aller
notdurfft. Und darzu in den andern zwayen ain so-

BBKL V, Sp. 1184-1188 mit weiterführender Literatur.
22 Bietet, reicht.
23 Deutsche Schulen gab es in Ulm bereits im 15. Jahrhun-
dert. Seit 1532 sind vier deutsche Lehrer in der Reichs-
stadt bezeugt, Specker, Ulm, S. 154; Greiner, Ul-
mer Schule, S. 23 Anm. 2.
24 Gelehrige, wissbegierige.

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